Krefelder Horst Hansen Trio Wie die Wahrheit die erfundene Gründungsgeschichte überholt

Das Krefelder Horst Hansen Trio, sein Namenspate und die Macht des Zufalls.

 Lukas Weber (l.) und Linus Klitzing (r.) vom heutigen Horst Hansen Trio, in der Mitte Ulli Hausmanns, Mitmusiker des historischen Horst Hansen.

Lukas Weber (l.) und Linus Klitzing (r.) vom heutigen Horst Hansen Trio, in der Mitte Ulli Hausmanns, Mitmusiker des historischen Horst Hansen.

Foto: Horst Hansen Trio

Dass der Zufall ins Leben hineinregiert, gehört zu den Dingen, mit denen man sich irgendwann abfindet. Der Zufall aber, der der Krefelder Jazzband Horst Hansen Trio widerfahren ist und der Wahrheit und Fiktion miteinander auf höchst unwahrscheinliche Weise zu einer neuen Geschichte verbindet, ist fast zu schön, um wahr zu sein. Aber beginnen wir von vorn, das heißt erst einmal im Jahr 2010.

Fünf junge Krefelder, alle Anfang der 1990er Jahre geboren, gründen damals eine Jazzband und suchen für sie einen Namen. Sie hätten sich etwa nach ihrem Saxophonisten Lukas Weber Quintett benennen können, aber einen Bandleader wollten sie nicht haben, auch nicht zum Schein. Man verstand sich als Kollektiv, aber an die Jazzgeschichte, in der die Kombination aus Namen plus Besetzung als Bandnamen oft vorkommt, wollte man anknüpfen.

„Irgendwas mit Horst“, erzählt Weber, war dann die schon ironisch gemeinte Idee. Horst Hansen – das klinge doch gut zusammen, das war der nächste Schritt. Dann klebte man noch die Besetzung Trio hinten dran, und fertig war der Name: Horst Hansen Trio.

Zum Namen erfanden sie ein Narrativ. Das Trio sei von Horst Hansen „in den 60ern (...) als Solo-Projekt gegründet“ worden. Von Auftritten des Trios „in ganz Europa“ wurde erzählt. Nach der „Bandauflösung Mitte der 90er (werde) das Trio (...) nun von fünf jungen Musikern weitergeführt“, so kann man es nachlesen. Alles erfunden. Mit dieser Story im Gepäck hat die Band inzwischen vier Alben eingespielt und wird bundesweit für Konzerte gebucht.

Es gab tatsächlich einen Krefelder Musiker namens Horst Hansen

Dank Winfried Kappes, Elisabeth Peter und Ulli Hausmanns wissen die Musiker des Horst Hansen Trios allerdings inzwischen mit Sicherheit: Es gab tatsächlich einen Krefelder namens Horst Hansen, der obendrein auch noch Musiker war. Seine Band hieß unter anderem Horst Hansen Trio, und der Jazz war immerhin seine Sehnsuchtsmusik. Seine Brötchen hat er aber als Tanzmusiker verdient.

 Undatierte Werbepostkarte vermutlich vom Anfang der 1960er Jahre. Hinten Ulli Hausmanns (v.l.), Rudi Straszewski, Karl Kallen. Vorne: Horst Hansen.

Undatierte Werbepostkarte vermutlich vom Anfang der 1960er Jahre. Hinten Ulli Hausmanns (v.l.), Rudi Straszewski, Karl Kallen. Vorne: Horst Hansen.

Foto: Horst Hansen Trio

Die Hansens haben ihr Narrativ mit viel Augenzwinkern zusammengestrickt. Allein schon, dass die fünfköpfige Besetzung sich als Trio bezeichnete, hat von Beginn an für heitere Irritation gesorgt. Das war beabsichtigt, der „Spaßfaktor“ komme ihnen in der „akademisierten Jazzszene“ viel zu kurz, sagt Weber.

Bereits 2012 bekamen Weber und seine Kollegen Tobias Foller (Gitarre), Carsten Hackler (Keyboards), Lars Leibl (Bass) und Till Menzer (Schlagzeug) einen Hinweis, dass ihr Narrativ eine Verbindung zur Realität haben könnte. Vor einem Gig in Krefeld meldete sich beim Veranstalter telefonisch ein Mann, der fragte, was das für ein Konzert sei, und weiter soll er gesagt haben: „Ich spiele doch heute gar nicht.“

Die Band hat das damals nicht weiterverfolgt, heute kann sie den wahren Horst Hansen nicht mehr ignorieren. Der ihnen bekannte Musiker Winfried Kappes hat der Band Fotos, Bandinfos und Tonaufnahmen des realen Horst Hansen zukommen lassen. Er hat das Material von seiner ehemaligen Nachbarin Elisabeth Peter erhalten, die wusste, dass Kappes die Hansens kennt.

Elisabeth Peter (geboren 1935) erzählt, sie habe Horst Hansen als Kollegen bei den Stadtwerken Krefeld kennengelernt. Das war in den 1970er Jahren, und mit Musik konnte oder wollte Hansen in dieser Zeit wohl nicht mehr sein Leben bestreiten. Gegen Ende der 1970er Jahre habe Hansen dann bei den SWK gekündigt. Er und Peter verloren sich aus den Augen.

 Werbekarte des historischen Hansen Quartetts. In den Eckfeldern im Uhrzeigersinn: Ulli Hausmanns (oben links), Rudi Straszewski, eine unbekannte Sängerin, Horst Hansen.

Werbekarte des historischen Hansen Quartetts. In den Eckfeldern im Uhrzeigersinn: Ulli Hausmanns (oben links), Rudi Straszewski, eine unbekannte Sängerin, Horst Hansen.

Foto: Horst Hansen Trio

Wiedergetroffen habe sie ihn dann im Krefelder Hospiz, wo sie nach dem Beginn ihrer Rentenzeit von 2000 bis 2018 ehrenamtlich gearbeitet habe, erzählt Peter. Hansen, der aus Linn stamme und dort auch wohnte, habe dort seine Frau besucht, die dann im Hospiz verstorben sei.

Danach habe sie Hansen mit einer Freundin zusammen in Linn besucht. Bevor Hansen dann selbst ins Hospiz gegangen sei, habe er ihr das Material aus seiner Musikerzeit übergeben. Hansen ist 2013 im Hospiz verstorben. Eine Tochter von Horst Hansen soll noch in Krefeld leben.

Laut Ulli Hausmanns wurde Horst Hansen 1935 geboren. Per E-Mail und dann auch per Telefon hat sich Hausmanns (geboren 1943) geraume Zeit nach dem Tod von Host Hansen beim Horst Hansen Trio gemeldet. Er habe die Band „zufällig gegoogelt“, wie er berichtet.

„Da war erstmal Stille in der Leitung“, erzählt Hausmanns über sein erstes Telefonat mit Lukas Weber. Das kann man sich gut vorstellen, denn Hausmanns war Mitglied des ersten Horst Hansen Quartetts, und konnte den heutigen Hansens vieles aus jener musikalischen Vergangenheit erzählen, die sie unwissentlich zu ihrer eigenen gemacht haben.

Schon Ende der 1950er Jahre hat Hausmanns angefangen, Musik zu machen. Er erlernte autodidaktisch Gitarre und sang, an den Wochenenden spielte er mit anderen zum Tanz auf. Dem Vater zuliebe hat Hausmanns eine Lehre als Polsterer und Dekorateur gemacht, aber den Beruf hat er dann nie ausgeübt.

Bei Auftritten, etwa in der legendären Krefelder Bosi-Bar, lernte er Horst Hansen kennen, der Trompete und Schlagzeug spielte und wie Hausmanns kein studierter Musiker war. Schließlich schälte sich mit dem studierten Pianisten Rudi Straszewski und dem Bassisten Karl Kallen eine feste Besetzung heraus. Den Namen Horst Hansen Quartett wählte man nicht, weil Hansen der Bandleader war, sondern weil alle fanden, dass das am besten klingt – so ähnlich funktionierte das dann ja auch 50 Jahre später.

Hansen datierte den Beginn der Aktivitäten als Horst Hansen Quartett auf das Jahr 1962. So erzählte er es auf jeden Fall in einem Interview mit dem Radiosender „Radio Antenna Alemana/Mallorca“ aus dem Jahr 1989, dessen Aufzeichnung dem Autor vorliegt.

Den ersten Gig habe man im Duisburger „Goldenen Anker“ gehabt, einem noch heute berüchtigten Milieu-Lokal, erzählt Ulli Hausmanns. „Das war um 1960“, meint Hausmanns, womit seine Datierung etwas von der Hansens abweicht.

Die Musik, die man spielte, war jedenfalls Unterhaltungsmusik der Zeit. Schlager von Peggy March („Mit 17 hat man noch Träume“), Peter Alexander oder auch Roy Black wurden gecovert, wie man heute sagen würde. „Wir waren jazzaffin“, erzählt Hausmanns, „aber damit kannst du ja keine Kohle machen.“ Wir mussten „die Kröten schlucken“, damit meint Hausmanns die Schlagerstars, aber mit der „Muckerei“ habe man „gut verdient“.

Eine Düsseldorfer Agentur schickte das Horst Hansen Quartett auf seriös geplante Tourneen durch ganz Deutschland. Tanzlokale mit Livemusik gab es damals noch wie Sand am Meer, das ist eine fast komplett untergegangene Welt. „Wir waren zum Beispiel rund um den Bodensee unterwegs“, erzählt Hausmanns. In Skandinavien gastierte die Band mit einer Sängerin als „Marlis and three singing boys“. Selbst in den USA seien Auftritte schon vereinbart gewesen, doch dafür hätten die Musiker keine Arbeitserlaubnis bekommen.

 Das Coverfoto zum Album „Live in Japan“ des heutigen Horst Hansen Trios mit Lukas Weber (v.l.), Linus Klitzing, Carsten Hackler, Sebastian Ascher und Till Menzer.

Das Coverfoto zum Album „Live in Japan“ des heutigen Horst Hansen Trios mit Lukas Weber (v.l.), Linus Klitzing, Carsten Hackler, Sebastian Ascher und Till Menzer.

Foto: Eike Toellner

Als der Bassist Kallen die Band verließ, war man dann als Horst Hansen Trio unterwegs. Die Bassfunktion übernahm Straszewski an den Pedalen seiner elektronischen Orgel. In dieser Zeit, Ende der 1960er Jahre, ist man dann wohl auch als Horst Hansen Trio aufgetreten.

Viel gespielt hat man etwa in den Lokalen der Düsseldorfer Altstadtgröße Erwin Bornscheuer, der zeitgleich die Lokale Klamotte, Karussell und Kulisse betrieb. 1971 haben sich dann die Wege von Hausmanns und Hansen getrennt. Hausmanns konnte danach in der Werbeartikel-Branche Fuß fassen, der Musik ist er aber treu geblieben. In der Düsseldorfer Klaus Esser Big Band spielt er heute noch Gitarre.

Eine Videodokumentation
zum Thema ist geplant

Clips aus dem mallorquinischen Radiointerview von Horst Hansen, die man aber auch für geschickt hergestellte Hörspielsequenzen halten konnte, hat das Horst Hansen Trio auf seinem letzten Album „Live in Japan“ (2020) bereits integriert. Demnächst wollen die Musiker aber noch offensiver mit der Wahrheit über Hansen, so weit sie sie nun kennen, umgehen. Für das kommende Frühjahr planen die Musiker um Lukas Weber eine Videodokumentation, rechtzeitig „zum 60-jährigen Jubiläum der Band“, womit sie ihr Narrativ und die Geschichte des wahren Horst Hansen miteinander verbinden.

Horst Hansen kann man nicht mehr fragen, was er davon gehalten hätte. Immerhin hat er sich zu Lebzeiten zum heutigen Horst Hansen Trio, um dessen Aktivitäten er offenbar wusste, nicht weiter geäußert. Ulli Hausmanns jedenfalls gefällt die Musik seiner „Nachfolger“.