Move Spinnenfrauen ziehen das Publikum in ihren Bann

Krefeld · Das Bonner Tanzensemble Cocoondance zieht die Zuschauer bei Move in der Fabrik Heeder in einen hypnotischen Sog.

„Vis Motrix“ heißt das Stück, das das Tanzensemble Cocoondance mit spinnenartigen Bewegungen auf die Bühne der Fabrik Heeder bringt.

Foto: Klaus Fröhlich/Fröhlich, Klaus

Killerspinnen vom anderen Stern? Ein Amphibien-Schwarm? Oder nur Roboter mit Bewegungsintelligenz? Wer das Gastspiel des Bonner Tanzensembles Cocoondance im Rahmen des Tanz-Festivals Move in der Fabrik Heeder gesehen hat, verlässt den Saal fasziniert und entrückt. Fasziniert, weil man derartige Bewegungen auf der Tanzbühne selten sieht. Entrückt, weil die jüngste Produktion „Vis motrix“ aus der Hand von Choreografin Raphaële Giovanola einen hypnotischen Sog entfaltet – nach einem langatmigem Einstieg allerdings.

45 Minuten
atemberaubender Ästhetik

Kerzengerade liegen die vier Frauen rücklings auf dem Boden. Ein kaum merklicher Sound erfüllt wie ein leichter Nebel den Raum. Es geschieht – nichts. Minutenlang. Allein der Anblick der sportlichen Tanzschuhe nährt die Hoffnung auf Aktion. Irgendwann wölbt eine der Tänzerinnen, etwas abseits der anderen drei gelegen, ihren Brustkorb. Sie wirkt wie ein Tierwesen zwischen Fisch und Amphibie.

Dieses Aufwärtsstreben ist symptomatisch für das gesamte 45-minütige Stück: Raphaële Giovanola hat ihre eigene Genesis kreiert. Sie beschreibt die Entwicklung eines Wesens, das von der Sehnsucht getrieben wird, sich aufzurichten. Von atemberaubender Ästhetik sind die Fort-Schritte dieser schwarmartigen  Gruppe.

Konzipiert als Gegenstück zu der Produktion „Momentum“ für drei Männer,  richtet das Frauenstück „Vis motrix“ – aus dem Lateinischen übersetzt etwa „bewegende Kraft“ – den Blick auf den weiblichen Körper. In den hautengen schwarzen Trikots bewegen sich die Tänzerinnen mit ungeheurer Geschmeidigkeit und stellen nur indirekt Weiblichkeit zur Schau. Obwohl die Choreografin sie als hybride Wesen zwischen Mensch, Kreatur und Roboter angelegt hat, strahlen sie eine subtile, uneitele Erotik aus.

Schuhe, die wie Warnschüsse
auf die Bühne knallen

Der Fokus liegt auf dem Detail, bevor der Angriff der Spinnenfrauen erfolgt. Minimalistische Bewegungen wie das Heben des Kopfes, das Aufsetzen der Ellenbogen oder eines Fußes markieren die nächsten Aufwärtsbewegungen. Die ganze Zeit über halten die Vier den Rücken fast parallel zum Boden, gestützt auf die Ellenbogen. Eine rein physisch enorme Leistung.

Dabei bilden sie Formationen von meist gebrochenen Geometrien, bewegen sich blitzartig wie ein Schwarm oder ändern mit einem Lichtimpuls die Richtung. Als sie den Po vom Boden heben mutieren sie zu Spinnenfrauen und krabbeln elegant in einer Phalanx mit bedrohlichem Gesichtsausdruck auf das Publikum zu. Auch akustisch macht das Quartett deutlich, dass von ihm Gefahr ausgeht: Die Tänzerinnen knallen ihre Schuhe wie Warnschüsse auf den Boden. Tänzerischer Höhepunkt ist der Moment, als die Frauen aus ihrer rückwärtigen Vierfüßler-Position hüpfen – welch‘ ein Kraftakt. Und welch‘ fremdartiger und faszinierender Anblick. Aus dieser Position heraus gelingt es ihnen zwar, sich hochzudrücken, so dass sie in den aufrechten Stand gelangen, sie sacken dann aber sofort in sich zusammen. Nein, keine Menschwerdung.

Cocoondance ist eine höchst wandlungsfähige Compagnie. Amüsierte man sich bei „Ghost Trio B“ noch über im offenen Raum herum irrende Geister, runzelte in manchem Vorgängerstück die Stirn ob des intellektuellen Anspruchs, erfreut man sich bei diesem neuen Werk ästhetischer Abstraktion.

Als  die Tänzerin Raphaële Giovanola und der Dramaturg Rainald Endrass im Jahr 2000 aus der Not das Ensemble gründeten, weil die Oper Bonn ihre Tanzsparte aufgab, war nicht abzusehen, dass in der Schweizerin ein derart vielseitiges, choreografisches Talent schlummerte. Internationale Gastspiele und jede Menge Auszeichnungen zeigen immer wieder, dass ihre mutige Entscheidung richtig war.