Interview „Was uns zu Menschen macht, ist Leidenschaft“

Krefeld · Interview Der deutsch-russische Autor Wladimir Kaminer liest in der Kufa aus seinem Buch „Liebeserklärungen“. Im Gespräch mit unserer Redaktion blickt er auf das große Thema Liebe und hat noch mehr Gedanken, auch zu Deutschland, im Gepäck.

Wladimir Kaminer kommt am Freitag für eine Lesung nach Krefeld.

Foto: Sebastian

In seinem neuen Buch widmet sich der deutsch-russische Autor Wladimir Kaminer der Liebe. Am Freitag, 6. Dezember, wird er in der Kufa aus „Liebeserklärungen“ lesen – guter Grund mit dem feinsinnigen Wanderer zwischen Satire und Ernst über Liebe, Romantik, aber auch seinen ganz persönlichen Blick auf Deutschland zu sprechen.

Wie kam es just jetzt dazu, dass Sie sich inspiriert fühlten, Geschichten über Liebe zu erzählen?

Wladimir Kaminer: In dem Buch finden sich Liebesgeschichten, die ich über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, gesammelt habe. Da gibt es sogar Liebesgeschichten von meiner Oma und von meiner Mutter, von ihrer ersten Liebe. Das war übrigens eine sehr rührende Geschichte, wie sie in ihrem Lehrer an der Universität verliebt war. Liebesgeschichten gehen irgendwie immer daneben. Es kommt in der Liebe nie so, wie man denkt. Zwischen Theorie und Praxis passiert immer etwas. Ich suche in der Tragödie des Lebens immer nach dem Komischen, weil man sonst in einer Sackgasse landet, wenn man nur weint. Man muss über diese Tragödien lachen lernen und sie geben auch viel Stoff.

Ist uns vielleicht die Romantik verloren gegangen, in einer Welt, in der so vieles an der Oberfläche sofort erkennbar ist?

Kaminer: Ich glaube nicht, dass die Romantik verloren gegangen ist. Ich denke, sie kleidet sich anders, aber sie ist durchaus da. Die Leidenschaft ist nicht verloren gegangen – zwar leben wir in einer Leistungsgesellschaft, in der ständig von Leistung gesprochen wird, statt Leidenschaft. Was die Menschen zu Menschen macht, ist Leidenschaft und diese findet sich gerade in solchen zwischenmenschlichen Beziehungen. Obwohl sie tatsächlich ständig kaputt gehen, gegen die Wand gefahren werden; aber auch das passiert mit Leidenschaft.

Was ist für Sie Leidenschaft? Was entflammt bei Ihnen Leidenschaft?

Kaminer: Ich persönlich? Ich möchte verstehen, ich möchte die Welt verstehen. Ich möchte wissen, was Sache ist. Das ist, glaube ich auch, die interessanteste Aufgabe für die Menschen. Alles andere können die anderen Lebewesen auch, oder können manches vielleicht sogar besser. Ein Mensch wird niemals so schnell laufen können wie ein Strauß oder fliegen wie Vögel. Was nur Menschen können, ist analysieren, verstehen, den Sinn und Zweck des Universums knacken. Zumindest es versuchen. Das ist für mich ein leidenschaftlicher Prozess. Das ist die Neugier, die mich weitertreibt. Die Neugier auf das Abenteuer um die Ecke.

Was kann dieses Abenteuer um die Ecke sein?

Kaminer: Ich fahre ständig von einer Stadt in die nächste und ich weiß wie unterschiedlich Menschen leben. Deswegen möchte ich auch noch über Deutschland noch ein Buch schreiben. Über das Traumland Deutschland. Ich werde immer wieder mit einer wunderbaren Vielfalt konfrontiert. Und gleichzeitig wird über Deutschland doch so viel geschimpft. Natürlich auch berechtigte Kritik, aber ich lese sehr selten etwas Positives über dieses Land.

Worin sehen Sie persönlich das Positive an Deutschland?

Kaminer: Es ist natürlich kein perfektes Land, aber es ist ein Land in Bewegung, ein Land, das sich ständig neu erfindet.

In Liebeserklärungen haben Sie die Möglichkeit, ihren Erfahrungsschatz zu nutzen, um Liebe aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Gibt es auch so etwas wie eine typisch deutsche Perspektive auf Liebe?

Kaminer: Für die Deutschen scheint die Planungssicherheit sehr wichtig zu sein. Die Menschen haben gelernt, dass sie sich schon in jungen Jahren Gedanken über die Höhe ihrer Rente machen sollen. Und weil das Leben immer voller Überraschungen steckt und immer eine unerwartete Wendung aus der Tasche zieht, kommt es nie so wie man denkt. Das macht das Leben unsicher und lustiger. In meinem Buch habe ich geschrieben, wie zufällig Glück entsteht und wie viel Anstrengung es braucht, um dieses Glück wieder kaputt zu machen.

Wenn Sie auf Deutschland blicken im Jahr 2019, was bräuchte es, damit wir alle glücklicher werden?

Kaminer: Ich wünsche mir mehr Sozialität. Wir haben ein zerbröseltes Land – ein bisschen ist daran auch die Politik schuld. Sie hat die Menschen nicht darüber aufgeklärt, wie der Zukunftsentwurf für dieses Land ist. Diese Diskussion findet statt. Ich wünsche mir sehr, dass die Menschen aktiver werden in der Gestaltung ihres Landes. Mitmachen; etwas, was meinen Landsleuten in Russland nicht gegönnt ist. Sie werden immer vor eine Wahl gestellt: Putin oder Putin. Und hier in Deutschland haben die Menschen die Möglichkeit, ihr eigenes Leben und ihr Land zu gestalten.

Und was kann da helfen?

Kaminer: Wir müssen mehr miteinander reden. Viele Sachen werden überhaupt nicht zur Sprache gebracht und genau das versuche ich in meinen Büchern. Und nicht ohne Erfolg – ich freue mich riesig, wenn durch mein Wirken Diskussionen entstehen.

Wie würden Sie ihre eigene Perspektive beschreiben. Wie ist der typische Kaminer-Blick?

Kaminer: Wir müssen näher aneinander kommen. Liebe und Sex sind wunderbare Gelegenheiten einander besser kennen zu lernen. Menschen sind soziale Wesen. Es wird viel über Mentalität gesprochen. Ständig lese ich über ostdeutsche Mentalität, Konsumenten-Mentalität und Ähnliches. Das ist unwissenschaftlich, das weiß ich von meiner Tochter, sie studierte Gender-Studies und europäische Ethnologie. Es gibt nichts Unveränderbares im Leben. Die Menschen werden geprägt durch ihr soziales Umfeld und wenn sich das ändert, dann ändern sich auch die Menschen. Das was wir heute tun, wird morgen unsere Gegenwart.

Kann Humor dabei helfen?

Kaminer: Humor ist genau das richtige Werkzeug, um mit Dramen wie Flüchtlingskrise oder Widersprüche des Kapitalismus richtig umzugehen. Man muss lachen lernen. Nur so kommt man aus der Sackgasse, auch in der Liebe.

Termin: Wladimir Kaminer liest aus „Liebeserklärungen“ in der Kulturfabrik (Dießemer Str. 13) am Freitag, 6. Dezember, 20 Uhr. Tickets ab 23 Euro, erhältlich im Internet unter: