Epidemie-Bekämpfung Mediziner Robert Koch als Sherlock Holmes der Seuchen
Krefeld · Das Vortrags-Thema des Kulturprofessor Andreas Bernard könnte nicht besser zur herrschenden Thematik der vergangenen 24 Monate passen. In „Immune Körper, verlässliche Daten: Zur Geschichte der Bekämpfung von Epidemien“ spannte er einen historischen Bogen bis ins Heute.
Eigentlich sollte der Kulturprofessor Andreas Bernard schon im November 2020 in der Friedenskirche zu Gast sein. Doch die Pandemie machte ihm und den Veranstaltern der Vortragsreihe Standpunkt einen Strich durch die Rechnung. Nun sprach der Wissenschaftler der Leuphana Universität Lüneburg am Donnerstagabend im Gemeindesaal. Seine Einladung durch den Organisator und Moderator Wolfgang van Randenborgh liegt schon über zwei Jahre zurück.
Vortrag zur Geschichte der Bekämpfung von Epidemien
Damals wurde noch nicht über das Coronavirus gesprochen. Dreimal war sein Vortrag verschoben worden. Doch das Thema, mit dem Bernard nun vor etwa 30 Zuhörern sprach, konnte nicht besser zur herrschenden Thematik der vergangenen 24 Monate passen. In „Immune Körper, verlässliche Daten: Zur Geschichte der Bekämpfung von Epidemien“ spannte er einen weiten Bogen von den Anfängen der Impfungen Ende des 18. Jahrhunderts bis ins frühe 20. Jahrhundert. Er beleuchtete die Versuche und die Historie, das Infektionsgeschehen und die Ausbreitungswege im Laufe der Epochen technologisch und mit Daten zu erfassen, um den Bakterien und Viren Einhalt zu gebieten. Sein Buch dazu soll im kommenden Jahr erscheinen. Epidemien, so Bernard, hätten immer zu einer „Verklumpung des Sozialen“ geführt. Die Ansteckung sei als neue Relation in den Beziehungen der Menschen hinzugekommen. Durch die latente Gefahr nehme man diese Relationen anders wahr.
Professor Bernard skizzierte zudem die Entwicklung und Entstehung des Fachgebiets der Bakteriologie nach. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts sei die Theorie der Miasmen („Pesthauch“) populär und weit vertreten gewesen, nach der sich Krankheiten durch schädliche Ausdünstungen der Natur verbreiten, sei es durch Fäulnis oder Verwesung. Eine schlechte Hygiene und soziales Elend begünstigten demnach maßgeblich die Ausbreitung der Infektionen.
Insgesamt 26 Jahre in Quarantäne – bis zum Tod
Diese Theorie machte Kontaktbeschränkungen unnötig. Erst als das Fachgebiet der Bakteriologie Fahrt aufnahm, setzten sich die Erkenntnisse der Schulmedizin durch. Der Franzose und Biochemiker Louis Pasteur – Verfahren der Pasteurisierung zur Abtötung von Bakterien – und der Mediziner Robert Koch – Entdecker der Tuberkulose-Erreger – machten sich mit ihren Forschungen Ende des 19. Jahrhunderts einen großen Namen. In dieser Phase wurden erstmals Mikroben entdeckt. Fortan begründete sich die Gewissheit: Es liegt an Keimen, nicht in erster Linie an der Hygiene oder den Essgewohnheiten. Letzteres hatte man laut Bernard noch bei früheren Cholera-Ausbrüchen angenommen.
Schon bei der letzten Cholera-Seuche in Hamburg 1892 verwendete Koch demnach das heute geflügelte Wort der Infektionsketten und unternahm den Versuch, die Ansteckungen bis auf den Ursprung zurückzuverfolgen. „Robert Koch als Sherlock Holmes der Seuchen“, sagte Andreas Bernard über die vergleichsweise Detektivarbeit des berühmten deutschen Mikrobiologen. Auch schon damals galt: undurchsichtige Zusammenhänge der Relationen der Menschen untereinander in großen Städten behindern die Erforschung der Nachverfolgung, anders als auf dem Land.
Am extremen Beispiel der New Yorkerin und gesunden Typhus-Überträgerin Mary Mallon zeigte er, wie rigoros und detailliert damals zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Rückverfolgung bis zu ihrer Person unternommen wurde. Die Folge: Die Dame verbrachte insgesamt 26 Jahre bis zu ihrem Tod 1938 in Quarantäne. Sie galt als Gefahr für die Allgemeinheit.