Lebenshilfe: Autisten nehmen Dinge anders wahr als ihre Mitmenschen
Der zehnjährige Elias hat das Asperger-Syndrom. Seine Familie weist ihm den Weg in gewisse Selbständigkeit.
Krefeld. Elias kommt auf Strumpfsocken in die aufgeräumte Wohnküche und klettert seiner großen Schwester Katharina auf den Schoß. Sehr genau untersucht er eine lilafarbene, eiförmige Kerze, und Katharina erklärt ihm sanft ein paar Einzelheiten. Nachher weist die Mutter auf das Etikett am Kerzenboden: Es sind lauter kleine Zeichnungen, die das Interesse des Zehnjährigen immer wieder wecken. „Elias ist ein besonderes Kind“, das weiß die Familie schon lange. Seit drei Jahren kennen sie auch den Namen dafür. Der zehnjährige Elias hat eine autistische Störung in der Ausprägung des Asperger-Syndroms.
Menschen mit autistischer Störung haben es sehr schwer, mit ihrer Umgebung zu kommunizieren. Man spricht auch von dem „Kind unter dem Glassturz“, denn diese Menschen können oft nicht sprechen und leben in ihrer ganz eigenen Welt. Das Asperger-Syndrom wird als abgeschwächte Form des Autismus bezeichnet, denn bei dieser Störung ist das Sprachvermögen oft sehr ausgeprägt.
Die Schwierigkeiten dieser Menschen liegen in der ganz anderen Wahrnehmung. Elias hat zum Beispiel eine sehr feine Nase und hat als kleines Kind auch schon mal „Du stinkst — geh weg!“ zu einem Fremden gesagt. Der fand Elias schlecht erzogen: „Die Umwelt reagiert oft mit Unverständnis“, sagt die Mutter Birgit Lettmann. „Aber Elias kann sich in sein Gegenüber nicht hineinversetzen.“
„Inzwischen hat Elias gelernt, sich zu entschuldigen“, sagt die liebevolle große Schwester, „aber das Warum — das hat er noch nicht so ganz verstanden.“ Wovon Elias sehr viel versteht, sind Naturwissenschaften und seine Ordnung der Dinge. Seinem großen Bruder — Elias hat zwei Schwestern und einen Bruder — hat er neulich mal den Physikstoff erklärt.
Birigit Lettmann, Mutter des zehnjährigen Elias
Elias findet auch ganz fix die Kastenform für den Kuchen, den er mit Katharina backen möchte. Sie hatte vergeblich gesucht. In Elias Zimmer herrscht eine eigene Ordnung. Die Lego-Technik Einzelteile sind nach Größe und Farbe sortiert, und in einer Ecke steht die Stöcker-Sammlung. Dass ein fremder Mensch da hinein schauen darf, bedeutet für Elias eine große Überwindung. Denn auf die Störung seiner Struktur kann der unruhige Junge sehr vehement reagieren. Aber hier ist ihm ein „Ja!“ gelungen.
Für seine Mutter ist das ein Zeichen dafür, dass die Familie mit beharrlichen kleinen Schritten ihrem Jungen auf dem Weg in eine gewisse Selbständigkeit und Unabhängigkeit hilft. Den Weg der kleinen Schritte begleitet auch ein Integrationshelfer, der Elias beim Schulunterricht zur Seite steht.
Nachmittags kommt zusätzlich eine junge Frau vorbei, die mit Elias spazieren geht oder spielt. „Dann habe ich Zeit für die anderen Kinder“, sagt Birgit Lettmann, „wir sind total dankbar, dass es diese Hilfe gibt.“
Zusammen mit der Lebenshilfe Krefeld habe man eine individuell auf Elias zugeschnittene Lösung gefunden: „Das ist wie ein Sechser-Gewinn im Lotto“, sagt sie dankbar.