Herr Kirches, warum hat sich 2003 die Arbeitsgruppe gebildet?
Gewalt auf dem Fußballplatz „Wir müssen die Schiris schützen“
Krefeld · Interview Thomas Kirches beklagt als Mitglied einer Krefelder Arbeitsgruppe die zunehmende Gewalt gegen Unparteiische.
Hat die Gewalt gegen Schiedsrichter zugenommen? Thomas Kirches, 52, Unparteiischer auf dem Fußballplatz seit 35 Jahren, sagt eindeutig: ja. Heute ist er als Schiedsrichter-Beobachter in der Regionalliga tätig. Früher pfiff er in der Oberliga, und er gehört der Krefelder Arbeitsgruppe „Keine Gewalt gegen Schiedsrichter“ an, die seit 2003 besteht. Die WZ sprach mit Kirches über die Problematik in der Region.
Thomas Kirches: Es gab damals einen Faustschlag ins Gesicht eines Schiedsrichters. Er muss seitdem eine Titanplatte tragen. Es kann ja nicht sein, dass wir für unser Hobby auf dem Operationstisch landen. Eine Arbeitsgruppe wie diese gibt es bundesweit nicht. Der Deutsche Fußball-Bund kümmert sich um die Problematik ja auch nicht, verwaltet die Statistiken nur. Fühlbar für die Schiedsrichter in den Amateurklassen passiert nichts. Das vermittelt stark das Gefühl, dass es an einer Lösung oder Änderung wenig Interesse gibt.
Was meinen Sie damit?
Kirches: Es gibt dort im Verband ganz viele Bewahrer, die uns immer wieder sagen: „Macht doch nicht so ein Theater. Es ist nicht mehr geworden als früher und auch alles nur Einzelfälle, die aber medial aufgebauscht werden.“ Das ist aber nicht der Fall. Ich stand wegen dieser Thematik lange mit ZDF und WDR im Kontakt. Der DFB verwaltet nur Statistiken, indem er die elektronischen Spielberichte auswertet. Demnach würden – statistisch gesehen – im Kreis Kempen-Krefeld „nur“ drei bis vier Schiedsrichter pro Saison körperlich attackiert. Das ist aber der komplett falsche Ansatz. Man wird das Gefühl nicht los, dass den DFB nur seine Nationalmannschaft und die Bundesliga interessieren.
Wie sieht es denn aus Ihrer Sicht aus?
Kirches: Es gibt da eine sehr gute Studie der Goethe-Universität Frankfurt. Eine Umfrage unter 911 Schiedsrichtern aus den Amateurklassen. Da gab es einige Ohrfeigen für den DFB, denn das Empfinden ist komplett andersherum als der DFB gerne verlauten lässt. In der Qualität und Quantität hat die Gewalt gegen Schiedsrichter aus deren Sicht deutlich zugenommen. Mit dem Knie in den Rücken, Tritte, Faustschläge, Anspucken und so weiter sind die Wahrheit. Wir haben unfassbares Glück, dass noch kein Schiedsrichter schwerer verletzt wurde oder sogar noch Schlimmeres passiert ist. Doch die Situation wird irgendwann kommen. Wer Gewalt zulässt und nicht alles dagegen unternimmt, duldet sie – oder hat bereits aufgegeben. Und ist damit Teil des Problems.
Wie hoch sind die Zahlen über Vorfälle im Fußballkreis Kempen-Krefeld?
Kirches: Eine genaue Zahl haben wir dazu nicht. Viele Schiedsrichter werden angegriffen, erstatten aber keine Anzeige, weil sie oftmals von den Tätern danach unter Druck gesetzt werden, um strafrechtliche Ermittlungen zu verhindern.
Man hört immer wieder, die zunehmende Gewaltbereitschaft sei ein gesellschaftliches Problem. Ist das so?
Kirches: Ich sehe das nicht als gesellschaftliches Problem. Im Hockey oder Handball gibt es das nicht.
Welche Wirkung hat das auf Ihre Schiedsrichter-Kollegen?
Kirches: Jedes Jahr gibt es 8000 neue Schiedsrichter in Deutschland. Es hören aber mehr auf, als welche anfangen. Die Eltern fragen: Muss man sich um unseren Sohn Sorgen machen, wenn er als Schiedsrichter zu einem Spiel fährt? Was ist das für ein Hobby, bei dem man abends anonym angerufen wird und eine Stimme sagt, dass man wisse, wo die Kinder zur Schule gehen? Kürzlich ist ein Jugendschiedsrichter in der Kabine von einem Vater eines Spielers verprügelt worden. Oder ein anderer wurde am Bahnhof als Schiedsrichter erkannt, angepöbelt und bespuckt. Das sind ganz massive Dinge.
Liegen die Verfehlungen und Auslöser immer nur bei den Spielern?
Kirches: Auch wir Schiedsrichter machen Fehler. Wir haben auch die ganze Bandbreite an Personen als Schiedsrichter: die jungen, die alten, die freundlichen, die mit Vorurteilen, die schlauen, die dummen und so weiter. Im Kreis bewertet der Schiedsrichter-Ausschuss die Leistungen der Schiedsrichter, empfiehlt sie gegebenenfalls für höhere Spielklassen. Ab der Landesliga gibt es entsprechende Beurteilungen, die mit über Auf- und Abstieg wie bei den Mannschaften entscheiden. Schlechte Leistungen haben damit auch für sie Konsequenzen. Generell gibt es bei Spielern, Trainern und Zuschauern sehr oft die Vorstellung: Schiedsrichter müssen fehlerfrei sein. Uns wird dann immer Absicht unterstellt. Es ist immer sofort Absicht und Betrug. Sogar wenn der Gegner zu Unrecht einen Einwurf bekommt.
Welche Konsequenzen fordern Sie?
Kirches: Spieler, die Selbstjustiz üben, haben im Teamsport, wo es um ein Miteinander auf dem Platz, Respekt, Akzeptanz auch unliebsamer Entscheidungen geht, nichts zu suchen. Es kann eine zweite Chance geben, aber nicht im Fußball. Ich bin für lebenslange Sperren für Spieler, die Schiedsrichter attackieren. Diese sind charakterlich für den Sport nicht geeignet. Eine zweite Chance für einen Täter bedeutet auch eine zweite Chance, einen Schiedsrichter zu attackieren. Wir müssen aber die Schiedsrichter schützen. Es ist Aufgabe des DFB, dafür zu sorgen, dass für den Schutz der Schiedsrichter alles getan wird. Und wenn es dann zu einem Angriff auf einen Schiedsrichter gekommen ist, muss er die größtmögliche Unterstützung durch den Verband erhalten. Es sollte möglichst in jedem Kreis eine solche Arbeitsgruppe, die den Schiedsrichter unterstützt und ihm dann zur Seite steht, geben. Dann gäbe es auch einen bundesweiten Pool an Ideen und Maßnahmen, um dieser Gewalt zu begegnen. Aber der DFB unternimmt nichts, was für die Basis, wo es diese Exzesse gibt, erkennbar ist. Er guckt weg oder schweigt zu dem Thema. Das heißt: tolerieren. Ab dieser Saison wird es in unserem Kreis im Umgang mit Gewalt gegen Schiedsrichter eine Änderung geben. Bei Attacken auf Schiedsrichter wird von ihm ein Sonderbericht für die Spruchkammer angefertigt. Nach der Spruchkammersitzung, wenn der Sachverhalt ausführlich geklärt ist, melden wir die Vorfälle der Staatsanwaltschaft. Dort wird entschieden, inwieweit ein öffentliches Interesse besteht, so dass auch ohne Anzeige durch den betroffenen Schiedsrichter Ermittlungen aufgenommen werden können. Schiedsrichter sind dann nur noch Zeugen des Verfahrens, und die Täter laufen mit den nachträglichen Bedrohungen der Schiedsrichter, um Anzeigen zu vermeiden, ins Leere.