Kultur Symbiose aus Architektur und Skulptur

Krefeld · Das Haus Lange zeigt eine Symbiose aus Architektur und Skulptur, wie sie noch nie zusehen war. Die Ausstellung trägt den Titel „Künstliche Biotope“ und wird am Sonntag eröffnet.

Kuratorin Sylvia Martin, stellvertretende Direktorin der Museen Krefeld, und Katia Baudin, Museumsleiterin, begleiten die Ausstellung inhaltlich.

Foto: Jochmann, Dirk (dj)

Im ersten Raum von Haus Lange ragt die Frauenfigur direkt vor dem Betrachter auf, raumfüllend, unübersehbar, knapp drei Meter hoch: Die Skulptur „Morgen“ von Georg Kolbe. Die Figur aus getöntem Gips wurde 1929 im Barcelona-Pavillon von Mies van der Rohe präsentiert. Sie zeigt die Sensibilität der beiden berühmten Männer hinsichtlich des Zusammenspiels von Plastik, Architektur und Natur. Der dritte Akteur der Moderne des 20. Jahrhunderts ist Wilhelm Lehmbruck. Sein „Mädchentorso sich umwendend“ ist knapp einen Meter hoch.

Baudin: „Wir zeigen das Haus
aus einem neuen Blickwinkel“

Mies van der Rohe, der Erbauer von Haus Lange, hatte seinerzeit im väterlichen Steinmetzbetrieb mitgearbeitet. Später pflegte der Ausnahmearchitekt eine enge Freundschaft mit Lehmbruck und war mit Georg Kolbe gut bekannt. Es ist das Zusammenspiel aus Architektur, Skulptur und Kultur, für das die herausragenden Persönlichkeiten stehen und das Haus Lange erstmals zeigt. Alles fügt sich nicht nur schön, sondern auch äußerst bemerkenswert zu einer Einheit in der Ausstellung „Lehmbruck – Kolbe – Mies van der Rohe/Künstliche Biotope“.

„Wir zeigen das Haus aus einem neuen Blickwinkel“, sagt Museumsdirektorin Katia Baudin. „Es geht um Natur und Kultur, um Garten und Architektur. Das Haus ist die Kulisse für die klassische Moderne, aber noch mehr als das.“

Ganz im Sinne des großen van der Rohe, der Architektur, der in seinem Schaffen stets Design und Kunst zusammen gedacht hat, werde seit 2016 in Krefeld ein auf interdisziplinäre Zusammenhänge ausgerichtetes Programm verfolgt. Seien bislang in seinem Werk Skulptur und Natur als Einzelthemen betrachtet, führe nun das Projekt die drei Aspekte zum ersten Mal zusammen und untersuche sie auch aus der Perspektive der Bildhauerei.

Das Funktionieren der Welt in großen Zusammenhang gebracht

Sylvia Martin hat das innovative Projekt in Kooperation mit dem Georg Kolbe Museum in Berlin entwickelt und dann kuratiert. „Wir betreten mit dieser beruflichen Lebensgemeinschaft der Akteure ein stück weit Neuland“, sagt Martin. „Alle kannten sich aus Paris und haben ihre Freundschaft danach vertieft. In den 1920-er Jahren habe die Naturwissenschaft große Fortschritte gemacht. „Das Funktionieren der Welt wurde in einen großen Zusammenhang gebracht. Man erkannte in Kakteen Kugeln und Zylinder, in den Steingüssen von Lehmbruck beispielsweise vermischten sich Techniken der Architektur.“

Mies van der Rohe besaß in seiner Chicagoer Bibliothek 800 naturwissenschaftliche Bücher. „Darunter standen 45 der insgesamt 70 Schriften von Raoul Francé, die viele Künstler und Architekten der Moderne, also auch van der Rohe, beeinflussten und Lehrstoff waren in den Vorkursen am Bauhaus“, erzählt die Kuratorin. Zitate von ihm und Mies van der Rohe werden in der Ausstellung an die Wand projiziert, dort kommen sie sozusagen zu Wort.

Insgesamt 15 Skulpturen von Lehmbruck und Kolbe treten nicht nur in Dialog mit dem von Mies van der Rohe als Stadtvilla entworfenen Haus Lange, sondern auch sichtbar mit der Natur.

Während das Gebäude, bei sehr genauer Betrachtung, geradezu aus dem Boden herauswächst, inmitten einer Naturlandschaft steht und mit seinen Baumaterialien wie Holz, Ton, Travertin, Marmor und Glas viele natürliche Zusammenhänge zeigt, werden in den Räumen Pflanzen gezeigt, die wie einzelne Skulpturen wirken. So ein sehenswerter Gummibaum im Badezimmer. Er ist mit seinen großen glatten Blättern und seiner schlichten Struktur die ideale Pflanze für eine um Sachlichkeit und konstruktive Klarheit bemühte Zeit. Sylvia Martin sagt: „Mies van der Rohe hat ihn schon in seinen Musterhäusern gezeigt.“

Da der Ausnahmearchitekt Rosen liebte, wurde für die Ausstellung eigens ein Rosenbeet angelegt. Die Blume betonte den von ihm angestrebten fließenden Übergang von Architektur und Natur. Im Zimmer der Dame stehen Kakteen und Sukkulenten und geben dem Rückzugsort der Frau den Charakter eines Wintergartens.

Unter den 15 Figuren von Kolbe und Lehmbruck fehlt auch eine aus den Krefelder Kunstmuseen nicht. Es ist die „Büste Frau L.“ Sie stellt Lehmbrucks Frau Anita dar und gehörte zu Lebzeiten zu den erfolgreichsten Arbeiten des Künstlers. Sie wird mit den anderen Exponaten im nächsten Jahr nach Berlin reisen. Dort soll die Ausstellung im Kolbe Museum ebenfalls zu sehen sein.