Moderner Passionsaltar in der Dionysiuskirche: Ein skurriles Panoptikum
Die Citykirche in St. Dionysius zeigt den Passionsaltar von Bernhard Apfel. Die fantasievolle Darstellung spaltet.
Krefeld. Kunst muss nicht erklärbar sein, Kunst spricht für sich. Dafür steht auch jener moderne Klappaltar, der zurzeit unter dem Baldachin in der Dionysiuskirche zu sehen ist. Manch ein Besucher steht kopfschüttelnd vor den bunten Tafeln, andere neugierig interessiert und bald schon gefangen genommen von der Gedankenflut, die die Darstellungen auslösen.
Der Passionsaltar „Schuld und Sühne“ des Künstlers Bernhard Apfel bricht mit kirchlichen Sehgewohnheiten, hat etwas von den überbordend lustvollen Skulpturen eines Peter Lenk und lehnt sich doch an jene Meisterwerke der Spätgotik an, für die etwa ein Tilman Riemenschneider steht.
Selbst Pastoralreferent Ulrich Hagens, der half, das Werk nach Krefeld zu holen, bekennt: „Auch ich kann nur versuchen, mir die Bilder zu erklären.“ So sei er schon gefragt worden, ob der seltsam verrenkt zeichnende Leonardo da Vinci am Kopf des Altars wohl Gott darstelle. Hagens zuckt die Schultern: Für ihn geht es eher um das Abendmahl und die Fußwaschung. Und in der Tat, wer genau hinschaut, entdeckt zwei Füße und einen Wasserhahn.
Wer sich auf Apfels fantasievolles Gebilde einlässt, entdeckt überall skurrile Details und witzige wie bissige Seitenhiebe. Da lassen Börsen-Barometer und Nestle-Dose an Wirtschafts- und Gesellschaftskritik denken, Cola-Dosen fungieren als modernes Wasser des Lebens und Hirschkäfer sowie anderes Krabbelgetier knabbern am Gewand des Todes.
„Apfel sammelt allerlei Kram und baut es in seine Werke ein“, beschreibt Hagens. Das regt einmal mehr die Fantasie an und schubst das dargestellte Johannesevangelium in die Moderne. Dass dabei eine üppig geratene Pietà in der Tafel der Grablegung für Anstoß sorgt, kann Hagens nicht schrecken. „Da muss man vielleicht wissen, was das soll“, sagt er und erklärt die Inspiration Apfels durch die Nachkriegszeit. Da seien die geschwächten Soldaten im Schoß der erstarkten Frauen aufgenommen worden. „Das hat auch ein Weiterleben ermöglicht.“
Wie aktuell der Titel „Schuld und Sühne“ ist, untermauert zudem die Zusammenarbeit des Bildhauers mit Gefangenen der JVA Heidelberg. So ist der Altar interaktiv. Jede Tafel lässt sich drehen und offenbart auf der Rückseite die ganz eigenen Gedanken der Häftlinge zum Thema. „Es ist sehr berührend, wie sie mit dem Thema umgehen“, kommentiert Hagens. „Nicht so verquer und verkopft.“
Aktuell ist auch die immer wieder auftauchende Kritik an der Institution Kirche und ihren Würdenträgern. „Die kommen da nicht immer so gut weg“, konstatiert Hagens gelassen. Da hat sich zum Beispiel eine völlig unbeteiligt und dekadent wirkende Gesellschaft samt Bischof als Zeugen der Kreuzigung eingefunden. Nur eine abgedrängte Figur im Hintergrund weist auf das Leid hin.
Alles wie gemacht für eine Auseinandersetzung mit Leben und Tod, wie sie der Kirchenkalender für den November vorsieht. Und ganz nebenbei kann der Initiator der Krefelder Ausstellung, Erhard Beckers vom SKM, auf eine Herzensangelegenheit hinweisen: auf die Gefangenenhilfe und den JVA-Kunstkalender.