Oberbürgermeister: „Nie wieder Krieg!“
Frank Meyer warnt beim Gedenkgottesdienst zur Bombennacht davor, Geschichte zu relativieren.
Gesenkte Köpfe, ernste Gesichtsausdrücke: Mit einem ökumenischen Gedenkgottesdienst in der Pauluskirche hat die Stadt Krefeld am Donnerstag an die Bombennacht vor genau 75 Jahren erinnert. In einer Ansprache zu Beginn erklärt Oberbürgermeister Frank Meyer: „Für mich hat der heutige Tag eine Kernbotschaft, die über allem steht und die sich sofort aufdrängt, wenn wir das zerstörte Krefeld vor Augen haben. Diese Botschaft lautet: Nie wieder Krieg!“
In der Nacht vom 21. auf den 22. Juni 1943 hatten britische Bomber im Zweiten Weltkrieg die Stadt angegriffen. Dabei kamen 1036 Menschen ums Leben, die offiziellen Statistiken zählten über 9000 Verwundete. Ganze Straßenzüge lagen nach den Angriffen in Schutt und Asche, 72 000 Menschen wurden obdachlos. „Es war Mittsommer, der längste, hellste Tag des Jahres — doch für Krefeld war es der dunkelste Tag der Stadtgeschichte“, sagt Meyer in seiner Rede.
Er erinnert an den kleinen Dieter Kraus, der im Alter von nur eineinhalb Jahren mit seinen Eltern und seinem Bruder bei den Angriffen ums Leben kam. „Dieter Kraus wäre heute 76 Jahre alt. Vielleicht würde er noch in Krefeld wohnen, seinen Garten pflegen und den Sommer genießen, mit seinen Enkeln spielen, die nun leider nie zur Welt gekommen sind, und auf die Höhen und Tiefen eines Lebens zurückblicken, das er niemals leben durfte.“
Zugleich zog der Oberbürgermeister Parallelen zu anderen Kriegsereignissen in Geschichte und Gegenwart: „Die Fotos und Filmaufnahmen, die Krefeld in den Tagen nach den Luftangriffen zeigen, sind tief erschütternd, aber sie sind nicht einzigartig. Städte, die durch Bomben zu Ruinen werden, beginnen, einander auf seltsame Weise zu gleichen: Sie sind nur noch Skelette einer ehemals lebendigen Zivilgesellschaft. Die Bilder aus Krefeld gleichen den Bildern aus niederländischen, englischen oder polnischen Städten, die Hitler bombardieren ließ — und diese Bilder gleichen wiederum den Bildern aus Aleppo, die wir aus den Nachrichten kennen.“
Der Tod von Dieter Kraus im Jahr 1943 sei genauso bewegend und sinnlos wie der Tod von Aylan Kurdi im Jahr 2015. Der Zweijährige war als Flüchtling im Mittelmeer ertrunken und in der Nähe von Bodrum an den Strand gespült worden: Das Foto seines kleinen Leichnams im roten T-Shirt wurde im September 2015 zum Symbol für das Leid hunderttausender Flüchtlinge. Meyer nannte es „zutiefst schäbig“, das Elend dieser Menschen für politische Zwecke zu instrumentalisieren. Er wandte sich zugleich gegen jede Verharmlosung und Relativierung deutscher Geschichte.
Dabei sprach er direkt die Schüler des Moltke-Gymnasiums an, die die Veranstaltung mit den Pfarrern Ekkehard Roth und Heiner Schmitz gestaltet haben: „Wer sich wie ihr in der Schule mit dem Zweiten Weltkrieg und dem Nationalsozialismus beschäftigt, der versteht sofort — im Gegensatz zu manchen gewählten Mitgliedern des Deutschen Bundestages —, dass die Zeit zwischen 1933 und 1945 niemals nur eine historische Anekdote sein wird, und erst recht kein ‚Vogelschiss‘. Wenn ich an diese menschenverachtende Aussage denke und dazu die Fotos aus Krefeld im Juni 1943 betrachte oder auch die Bilder aus Warschau und Auschwitz, dann bin ich fassungslos, wie weit es gekommen ist: Wir dürfen nicht zulassen, dass die Maßstäbe des Anstands und der Würde auf so perfide Weise verschoben werden. Niemand kann Dieter Kraus, Aylan Kurdi und Millionen anderer Opfer zurückbringen, aber eines können wir dennoch tun: Wir können dafür sorgen, dass sie nicht umsonst gestorben sind.“