Bildung Viele Kinder schreiben schlecht - Ist Spracharmut das Problem?

Krefeld · Rechtschreibung ist ein Problem an Schulen in Nordrhein-Westfalen: Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie. Schuld sei die Methode „Schreiben nach Gehör“, heißt es. Die Sprecherin der Krefelder Grundschulen sieht das Problem woanders.

Dagmar Schrader ist Rektorin der Grundschule Krähenfeld und Sprecherin der Krefelder Grundschulen.

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„Rächtschreibunk“ ist ein Problem an Schulen in Nordrhein-Westfalen: Zu diesem Ergebnis kommt eine Bonner Studie mit 3000 Grundschulkindern. Schuld sei die Methode „Schreiben nach Gehör“, mit der viele Grundschulen arbeiten, heißt es. Kinder, die danach lernen, machten am Ende der vierten Klasse im Schnitt 55 Prozent mehr Rechtschreibfehler als Kinder, die mit der Fibel Lesen und Schreiben lernen. „Schreiben nach Gehör“ sorge für schnelle Erfolgserlebnisse und fördere die Lust am Schreiben, sagen Befürworter. Sie schade vor allem schwächeren Schülern und Kindern mit Migrationshintergrund, meinen Kritiker – darunter auch der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger. Ein Gespräch mit Dagmar Schrader, Sprecherin der Krefelder Grundschulen.

Das als „Schreiben nach Gehör“ bekannt gewordene Verfahren von Jürgen Reichen ist seit seiner Einführung in den 80er-Jahren umstritten. Wie stehen Sie dazu, Frau Schrader?

Dagmar Schrader: Vorab: Das Verfahren nach Jürgen Reichen heißt nicht „Schreiben nach Gehör“, sondern „Lesen durch Schreiben“. Das macht den entscheidenden Unterschied, denn durch die individuelle Arbeit mit einer Anlauttabelle werden Wörter Laut für Laut zerlegt und dadurch das Prinzip des Lesens vermittelt. Wir betreiben mit den Kindern eine intensive Wortschatzarbeit: Wörter werden in vielen Facetten wahrgenommen, verstanden, memoriert und angewendet. Dies ist vor allem für Sprachschwächere und Kinder mit Migrationshintergrund wichtig. Hinzu kommt, dass die Kinder von Anfang an mit der Tabelle an Wörtern arbeiten können, die für sie bedeutsam sind und deshalb zu einer motivierten Auseinandersetzung kommen. Dies bestärkt Kinder in ihrem Vertrauen in ihre Fähigkeiten, was ich persönlich sehr befürworte.

Aber schreiben Krefelds Grundschüler tatsächlich schlechter als vor Einführung der Reichen-Methode?

Schrader: Ich denke, dass viele Schwierigkeiten auf Spracharmut basieren und nicht auf der Methode des Lesen- und Schreibenlernens. Meine Erfahrung ist, dass das Schreiben an sich immer weniger Platz in unserer Gesellschaft einnimmt. Gleichzeitig beobachte ich eine wachsende Spracharmut bei vielen Jungen und Mädchen – nicht nur bei Kindern mit Migrationshintergrund. Sich in vollständigen Sätzen gezielt zu einem Thema zu äußern, fällt vielen schwer. Es fehlt an Begrifflichkeiten oft genauso wie an grammatischen Strukturen. Wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, müssen zuerst die Strukturen mündlich gelegt werden, bis wir zum Schreiben kommen.

Ein Blick in die Praxis: Wie lernen die Grundschüler an ihrer Schule?

Schrader: Die Reichen-Methode in ihrer Reinform wird meiner Meinung nach an den wenigsten Grundschulen praktiziert, das lautorientierte Schreiben ist nur ein erster Schritt zum Schreibenlernen. Grundlage bildet dafür der Lehrplan Deutsch, nach dem alle Grundschulen NRWs arbeiten. An der Grundschule Krähenfeld und auch an vielen anderen Krefelder Grundschulen arbeiten wir parallel zur Anlauttabelle mit einem Buchstabenlehrgang als Grundlage für das Schreibenlernen. Durch die Laut-Buchstaben-Zuordnung erwerben die Jungen und Mädchen schon im ersten Schuljahr Einsichten in die Besonderheiten der deutschen Rechtschreibung – man hört Fata, aber es wird geschrieben Vater – die wir in gezielten Übungen vertiefen.

Gymnasien klagen darüber, dass sie Defizite aus der Grundschule ausbügeln müssten. Auch die Universitäten bemerken eine wachsende Rechtschreibschwäche ihrer Studienanfänger. Was halten Sie von der Idee wieder zur Fibel-Methode zurückzukehren ?

Schrader: Ich würde mir wünschen, dass einmal genau geschaut wird, welche grundlegende Arbeit in den Grundschulen geleistet wird. Die Entwicklungsschritte von Klasse eins bis vier sind enorm und wenn schon nicht die Arbeit der Grundschullehrer entsprechend gewürdigt wird, vielleicht dann die Ergebnisse der Kinder.