Serie Balljunge oder das Tier im Tor? – So ist ein Training mit der HSG
Krefeld · Serie Die Handballer der HSG Krefeld starten in die 2. Bundesliga. WZ-Mitarbeiter Janis Beenen übt mit den Profis und testet die Fitness der Sportler.
Das Training läuft kaum eine Viertelstunde, da fällt Felix Linden, Co-Trainer der HSG Krefeld, bereits meine missliche Lage auf. Seine Handballer pumpen Liegestütze und stemmen Hanteln. Ich stehe im Eck, trinke Wasser und japse. „Nimm heute Abend direkt ein warmes Bad“, sagt Linden. Das helfe gegen den Muskelkater.
Eigentlich war die Qual schon bei der Ankunft auf dem Parkplatz zu erahnen, als der Athletikcoach Gewichte aus seinem Auto holte. Doch umdrehen? Direkt aufgeben? Ausgeschlossen. Ich möchte beim Training mit den Aufsteigern herausfinden, ob die HSG fit für die Saison in der 2. Bundesliga ist. Und welche Rolle ich ab der Auftaktpartie an diesem Samstag im Kader spielen kann.
Mein theoretischer Sachverstand sollte reichen. Schließlich weiß ich, wer Heiner Brand ist und kann das Handball-WM-Lied der Höhner mitsingen. Ach ja, Ex-Nationalspieler Pascal Hens war in der Tanzshow Let´s Dance richtig klasse. Doch in der Halle sehe ich gar keine Bälle. Mit lustigem Werfen ist es bei diesem Sport offenbar nicht getan. „Ein Workout“ kündigt das Trainerteam an. Gerade in der Saisonvorbereitung gilt es, Kondition und Kraft aufzubauen. Ein paar Spieler im Kreis maulen, sie wollen lieber Fußball spielen. Für die Jungs ist es ein Riesenspaß, den Ball in einer recht regelarmen Variante des Spiels durch die Halle zu dreschen. Aber warum machen sie das nur nebenbei und stehen nicht Vollzeit auf dem Rasen, wenn sie doch so gerne Fußball spielen? „Weil wir die Besseren sind“, sagt Kapitän Tim Gentges.
Die Trainer lassen sich nicht vom Zirkeltraining abbringen. Sit-Ups, Sprints, Gewichte drücken – jede Minute eine neue Übung. Die Handballer, die eben noch Fußball spielen wollten, ziehen das locker durch. „Das geht doch noch“, sagt Abwehrspezialist Jonas Vonnahme. „Es geht noch wesentlich härter.“ Ach, wie schön. Mein Kopf ist rot, ich kämpfe und denke an all die Berufswünsche, die mir diesen Wahnsinn erspart hätten.
Das Harz fühlt
sich an wie Honig
Endlich ist Schluss und die Trainer packen die kleinen Bälle aus. Die Spieler reichen derweil eine Plastikdose mit Harz rum. „Nimm richtig viel“, sagt Vonnahme. So könne ich den Ball besser fangen und halten. Die Hände mit Harz einzuschmieren, ist ein ungewohntes Gefühl. Ein bisschen so, als würde man ein Glas Honig drüber schütten. Später solle ich am besten Babyöl nutzen, um den Kleber runter zu bekommen, sagt Co-Trainer Linden.
Die erste Übung mit dem Ball lässt den Laien am Sinn des Harzes zweifeln. Die Spieler stellen sich in Reihen gegenüber und passen die Bälle hin und her. Für die Profis ein Klacks. Mir klebt der Ball an der Hand. Mit möglichst viel Kraft versuche ich, das Anspiel zu schaffen. Die falsche Taktik, sagt Vonnahme. Um den Ball auf Brusthöhe zum Mitspieler zu bringen, solle ich ihn eher über den Handballen abrollen lassen. Tatsächlich: Kraft und Technik sind sinnvoller als Kraft alleine.
Aber nur zu passen, das reicht mir freilich nicht. Torjäger, die sind Stars. Co-Trainer Linden erklärt mir, wie ich am besten werfen soll – über die großen Abwehrspieler und vorbei am Torhüter. Als Rechtshänder stehe beim Absprung mein linkes Bein vorne, sagt Linden. Der Schwung müsse aber vom rechten Bein kommen. Das soll ich nach vorne hochziehen. „Den Schwung musst du nutzen, um möglichst hoch über die Abwehr zu kommen“, sagt Linden. Ich hüpfe zwar, allerdings nicht hoch, sondern eher weit. Täte ich das im Spiel, werde es schmerzhaft, sagt Linden. Dann würde ich nämlich gleich in die Deckung rauschen. Nach der Theorie geht es an die Praxis. Die Abwehr formiert sich und Torhüter Norman Toth steht auf der Linie. Nach einigen Versuchen landet tatsächlich ein Wurf im Netz. Ob das nun meine Qualität war oder ein Geschenk der Spieler? Diese Frage lassen wir an dieser Stelle einfach mal unbeantwortet.
Ich könne ja auch mal ins Tor gehen, sagt Linden. Während ich zögere, stellt er seine Mannschaft schon im Halbkreis neun Meter vom Gehäuse entfernt auf. Auf dem Weg zur Linie rudere ich mit den Armen. Gibt es vielleicht noch einen Sicherheitshinweis? Klar, sagt Linden. Auf die Zehenspitzen stellen für die Beweglichkeit und Hände vor dem Körper halten. Linden ruft „Feuer frei“. Die ersten Bälle schlagen neben mir im Netz ein. Dann gelingt das Unmögliche. Mit einem sensationellen Reflex schaffe ich es meinen Fuß zehn Zentimeter vom Boden abzuheben und lenke so einen Wurf neben den Pfosten. Andreas Wolff, Silvio Heinevetter, kommt doch her! Wer ist das wahre Tier im deutschen Handballtor? Während ich meinen größten sportlichen Erfolg seit dem souveränen Erreichen der Teilnehmerurkunde bei den Bundesjugendspielen 2010 feiere, hauen die HSG-Jungs mir die nächsten Bälle ins Tor. Ich bin sicher: Was überdauern wird, ist die Jahrhundertparade.
Nach zwei Stunden endet das Training. Völlig verausgabt schleppe ich mich zu Co-Trainer Linden und Kapitän Gentges. Nach diesem Einsatz muss ein Platz im Team sicher sein. Linden lobt das Engagement – ein schlechtes Zeichen. Aus den Gesprächen mit den Lehrern meiner Schulzeit ahne ich schon, dass nun ein „aber“ folgen muss. Tatsächlich. „Ich denke wir könnten dich gebrauchen, um die Bälle aufzupumpen oder das Bier kalt zu stellen“, sagt Gentges. Immerhin. Gerade letzteres scheint eine entscheidende Säule für den Klassenerhalt zu sein. Nach der Einheit holen die Spieler den Kasten raus. Ob ich auch ein Bier wolle, fragt Vonnahme. „Nein, danke“. Lieber rasch nach Hause, ab in die Wanne.