Theater Erster Platz für morbide Barbies

Stadtteile · Die Theatergruppe „Juckreiz“ hat in Neuss den Young Europe Award erhalten – und zwar für ihre Kritik an der Gesellschaft.

Die jungen Mitglieder der Theatergruppe „Juckreiz“ möchten die Gesellschaft auffordern, genauer hinzusehen auf das, was geschieht.

Foto: Dirk Jochmann (DJ)

Vorne auf der Bühne tanzen die Barbie-Girls im weißen Minirock, dahinter werden schwarz gekleidete Menschen mit einem angedeuteten Pistolenschuss hingerichtet. Es sind Kontraste, mit denen die mobile Theatergruppe „Juckreiz“ des Fachbereichs Jugendhilfe die Gesellschaft auffordern möchte, genauer hinzusehen, auf das, was geschieht. Mit dem Titel „Happyland“ sind verschiedene Themen in Szenen zusammengefasst und überschrieben.

Jetzt hat die Truppe damit sogar einen der ersten Plätze beim Young Europe Award 2018 in Neuss erzielt. „Es war die erste Teilnahme. Wir sind sehr zufrieden und überglücklich“, finden die jungen Mitglieder von „Juckreiz“. Dabei wissen sie gar nicht genau, ob sie Dritte, Vierte oder Fünfte geworden sind. „Denn von den ersten Fünf wurden nur die ersten beiden namentlich genannt.“

Gastspiele schon
in Polen und England

Bemerkenswert ist, dass die Theaterstücke oder -szenen von den jungen Leuten unter Anleitung der Theaterpädagogin Nadja Sinzig, selbst erarbeitet werden. „Happyland“ ist beim regelmäßigen Austausch in Haskovo, Bulgarien, entstanden. „Die mobile Theatergruppe arbeitet seit mehreren Jahren im Rahmen internationaler Begegnungen, um den Dialog und die Begegnung zwischen jungen Menschen aus Krefeld und Städten in anderen Ländern zu ermöglichen“, erklärt Abteilungsleiter Norbert Axnick. „Sie waren auch schon in Polen und England.“

Gedanken über
Freiheit und Frieden

Die aus Schülern, Azubis und Studierenden bunt gemischte Truppe hatte sich verschiedene Vorstellungen von dem im Sommer besuchten Land gemacht. Roschda Barlak (19) erzählt, dass sie zuvor an Bulgarien als ein Land gedacht habe, dass geprägt von Vorurteilen gewesen sei. „Im Grunde habe ich gelernt, dass wir uns in keiner Weise von unseren Freundinnen und Freunden dort unterscheiden, dass die Themen, die uns beschäftigen, sehr ähnlich sind. Wir machen uns alle Gedanken über Freiheit, Frieden und Nächstenliebe.“

Lebensmittelverschwendung
und Pflegenotstand

Dann erzählt Feride Orakli (27), dass es sich bei den Themen auf bulgarischer Seite um Lebensmittelverschwendung und bei den Deutschen um den Pflegenotstand gedreht habe. „Wir haben die Szenen dazu erarbeitet und zusammengeführt.“

Wie eng der Zusammenhalt untereinander ist, erklärt Benny (19) aus Syrien: „Meine Kollegen sind mehr als nur Freunde für mich, ich sehe sie als eine Familie.“ Ein großes Plakat von „Happyland“ hängt über der Bühne. Bella (22) sagt: „ Zuerst war dort der große gelbe Smiley. Dann wurde er mit dunklen Farben, passend zu den dunklen Geschichten, übermalt. Der ,Glücksminister’ aus unseren Szenen hat dann wieder den Smiley darüber gemalt. Aber ,Happyland’ war nicht mehr wie vorher.“

Belebende bis
provokante Impulse

Die mobile Theatergruppe arbeitet aktuelle Themen auf. „Das Spektrum ist weit gefächert“, berichtet Scarlett Kaulertz, Fachberaterin im Kinder- und Jugendschutz. „Schuldenfalle, Sucht, Kinderarmut oder häusliche Gewalt werden aufgearbeitet. Dafür müssen sich die jungen Schauspieler zuerst selbst mit den Themen auseinandersetzen.“

Axnick ergänzt: „Da die Theaterarbeit thematisch sehr umfassend ist, werden die jungen Menschen auch gerne bei Tagungen, Seminaren und verschiedenen anderen öffentlichen Veranstaltungen gebucht, um belebende bis provokante Impulse in den Veranstaltungsverlauf einzubringen.“ So seien sie schon im Sozialministerium, der Bahnhofsmission oder bei Thyssen-Krupp aufgetreten.