Fischelner Fassaden: Jeder soll wissen, hier wohnt kein armer Mann

Das äußere Bild der Häuser verrät viel über die damalige Architektur — aber auch über ihre Bauherren.

Foto: Andreas Bischof

Krefeld. Eine Hauswand als wetterfeste und langlebige Visitenkarte? Der Bäkerhof/Beekerhof an der Clemensstraße 9 besitzt solch auskunftsfreudige Wände.

Foto: Bischof, Andreas (abi)

Die vielen eisernen Maueranker, die dafür sorgen, dass die Balkenköpfe nicht aus dem Backsteinmauerwerk herausrutschen können, nutzten Bauherren gerne, um ihre Visitenkarte zu hinterlassen und der Nachwelt das Datum der Fertigstellung ihres Hauses zu überliefern.

Foto: Bischof, Andreas (abi)

Beim Bäkerhof ist von der Clemensstraße aus unschwer die Jahreszahl 1779 zu lesen und unter dem Dachrand tragen die Maueranker die Buchstaben „B“, „M“ und „A“.

Wer steckt hinter diesen Initialen? Die Giebelwand zur Odenthalstraße — alias „Knall-Jatz“ (wegen des Klangs der klappernden Holzschuhe in der schmalen Gasse) — liefert noch andere Buchstaben, die jedoch weniger rätselhaft sind. Für „R“, „H“, „B“, „B“ lautet die Auflösung: Rutgerus Havels und Bilgen Klein-Beeker. Dieses Ehepaar besaß 1721 den Bauernhof, wie es urkundlich überliefert ist. Daraus lässt sich auch ableiten, dass diese Giebelwand älter als die Stra-ßenfront ist.

Nimmt man die Wand genauer unter die Lupe, fällt auf, dass ältere Fenster zugemauert wurden und die Wand insgesamt etwas „unordentlich“ aussieht. Eine akkurate Fensteranordnung gibt es nicht. Das dürfte versäumt worden sein, als 1779 der Umbau der heutigen Straßenfront durchgeführt wurde — Hauptsache, die Fassade nach vorne glänzt. Auf eine schöne, neue Giebelseite legte man keinen Wert.

Das Selbstbewusstsein eines Bauherrn zeigt relativ dezent die Tür des Pfarramtes St. Clemens. 1728 musste das Haus nach einem großen Brand erneuert werden. Adamus Wiertz, der damalige Pfarrer der Gemeinde, stammte aus einer wohlhabenden Familie, so dass er selber den Neubau des Pfarrhauses bezahlte. Schließlich hatten die Fischelner mit dem Verlust der Schule, des Küsterhauses mehr als zehn weiterer Häuser in der Ortsmitte noch andere Herausforderungen zu meistern.

In den Türsturz ließ der Pfarrer die Buchstaben „JHS“ für Jesus Christus Salvator (Erlöser) meißeln, wie es für einen Kirchenmann nicht überraschend ist. Doch auch er musste sich auf dem Stein über dem Hauseingang verewigen. Dabei ließ er die eigentliche Hierarchie außer Acht: Seine Initialen — „A“ und „W“ — wurden noch über die von Christus gemeißelt. Wenn man das Ganze finanziert, dann darf man sich auch an die oberste Stelle setzen, muss Wiertz wohl gedacht haben.

Doch nicht nur allzu Menschliches, auch Konstruktionstechnisches können Hauswände selbst nach Jahrhunderten noch verraten. Ein schönes Beispiel dafür ist der Diebers Hof. Auf den ersten Blick fällt an der Hees 17 nicht auf, dass das Haus neben modernen Putzwänden und großen Glasflächen eine Rarität des Fachwerkbaus ist.

Die Giebelwand am Zugang zu den Häusern 17 a und b erzählt aber viel: Im 16. Jahrhundert ließ ein wohlhabender Bauer sein Fachwerkhaus als Fünfgebindehaus errichten. Für ein kleines Fachwerkhaus hätten zwei Gebinde als Konstruktion völlig gereicht, doch mit seinen fünf bekommt es schon fast die Dimension einer kleinen, dreischiffigen Kirche. Ein Gebinde ist im Fachwerkbau eine konstruktive Einheit aus zwei tragenden, sich gegenüberstehenden Ständern und einem sie verbindenden Querbalken.

Das Gebäude ist ein Einhaus, das heißt alles — Wohnung, Stall und Vorratslagerung — befand sich unter einem Dach. Durch die hoch gelegene Türöffnung in der Giebelwand wurden die Vorräte, in den Dachraum gebracht.

Die Anordnung der Ziegelsteine zeigt auch, dass der Bauherr oder seine Frau — die vielleicht ein Wörtchen mitreden konnte — Sinn fürs Schöne und Spaß an der Dekoration hatten. Parallel zu den schrägen Hölzern, den Kopf- oder Fußstreben, ließen sie die Backsteine in die Gefache setzen.

So lässt diese Giebelwand heute noch erahnen, was vor rund 400 Jahren ein reicher Bauer in Fischeln für eine angemessene Bauweise hielt — damit jeder wusste, hier wohnt kein armer Mann.