Inforeihe Psyche Theaterplatz: Immer auf der Suche nach dem ersten Kick
Kaum jemand kennt Krefelds Drogenszene um den Theaterplatz so gut wie Destiny. Die 37-Jährige ist seit Jahren drogenabhängig. Der WZ erzählt sie von ihrem Leben mit der Heroinsucht und ihren Wünschen für die Zukunft.
Krefeld. Eine Verabredung mit Destiny auszumachen ist einfach, sie tatsächlich anzutreffen gar nicht mal so leicht. „Die ist gerade nicht zuhause“, sagt ihr Freund durch die Gegensprechanlage. Wann sie wiederkommt? Das wisse er nicht. Wer Destiny dieser Tage sucht, der hat gute Chancen, sie auf dem Theaterplatz zu finden. Die Frau mit den langen schwarzen Haaren und dunkel geschminkten Augen ist seit fast 20 Jahren alkohol-, heroin- und tablettenabhängig; sie kennt die Drogenszene rund ums Seidenweberhaus so gut wie kaum ein anderer in der Stadt.
Wir versuchen es an einem anderen Tag und treffen Destiny nach ihrem morgendlichen Besuch „auf der Platte“. Sie sitzt auf dem Sofa in der Wohnung ihres Freundes und wickelt eine dunkle Haarsträhne um ihren Zeigefinger. Silbermetallicfarben lackierte Fingernägel fahren durchs Haar. Immer und immer wieder. Mit der anderen Hand streichelt sie die schwarze Katze auf ihrem Schoß. Destiny — das ist nicht ihr richtiger Name, „aber er gefällt mir, weil er ja auch eine Bedeutung hat“, sagt sie. Schicksal.
Ja, Verhängnis. „Mit meinem eigenem Schicksal, dass ich damals einfach zu blöd war, zu erkennen, was falsche Freunde und Drogen mit einem machen, damit habe ich mich abgefunden“, sagt Destiny. Gut zwei Monate liegt der letzte Entzug zurück. „Nach Heroin und Schlaftabletten habe ich gerade kein Verlangen“, sagt die 37-Jährige, „aber nach Alkohol.“ Zwei Bier hat sie an diesem Morgen bereits getrunken.
Den ersten Schnaps habe sie mit zehn Jahren von ihrem Vater bekommen, erinnert sie sich. „Im Urlaub in Jugoslawien. Deutschland ist Weltmeister geworden.“ Die zwei Schwestern sind 13 und 16 Jahre älter, Destiny ist die Nachzüglerin. „Ich sollte ein Junge werden. Und so bin ich auch erzogen worden.“
Dass sie sich mit 13 regelmäßig mit Freunden betrinkt und zuhause kifft, interessiert den Vater, der als Frührentner die meiste Zeit in der Wohnung sitzt, nicht. „Ich konnte ihn nüchtern nicht ertragen“, sagt Destiny heute, mehr will sie nicht von ihm erzählen. Und die Mutter? „Die war immer nur arbeiten und hatte ja selber ein beschissenes Leben.“
Einen Vorwurf macht die 37-Jährige ihrer Mutter nicht: „Sie hat ja versucht, es gut zu machen.“ Doch selbst schwer krebskrank, schaffe sie es nicht, ihrer drogenabhängigen Tochter zu sagen, dass sie sich Sorgen um sie macht.
„Aber ich weiß das auch, ohne dass sie es sagt“, beteuert Destiny. Schließlich habe sie auch den letzten Entzug ihrer Mutter zu verdanken. „Als ich erfahren habe, dass sie Krebs hat, musste ich ins Krankenhaus, sonst hätte ich das nicht verpackt.“
Es ist nur einer von 16 Entzugsversuchen, die Destiny in den vergangenen 17 Jahren unternommen hat — rückfällig ist sie bisher jedes Mal geworden. „Den ersten Kick gibt’s nie wieder“, weiß sie. „Diese Wärme, die Glücksgefühle, das Kribbeln, alles fliegt an einem vorbei — dem jagt man dann auf immer hinterher.“
Destiny ist 16, als sie ihren ersten Freund kennenlernt. „Durch eine Freundin kam ein neuer Typ in unsere Clique, der hat sich total gut verkauft“, erinnert sie sich. „Wir waren ein halbes Jahr lang gut befreundet, dann sind wir zusammengekommen.“ Auch mit ihm raucht sie regelmäßig Joints, registriert, dass ihr immer wieder Geld fehlt, aber nicht, dass ihr Freund ihr irgendwann heimlich Heroin unter das Marihuana mischt. Erst als plötzlich nichts mehr da ist, merkt Destiny, dass etwas nicht stimmt. „Mir ging’s schlecht, ich dachte, ich hätte eine schlimme Grippe, dabei war das mein erster Entzug.“
Sie fängt an, gemeinsam mit ihrem Freund bewusst Heroin zu rauchen, sie trinkt, viel, zwei Jahre später spritzt sie sich den Stoff zum ersten Mal. „Zum Rauchen war zu wenig da, um zu funktionieren. Aber ohne fühlt man sich krank.“ Mit 20 macht Destiny ihren ersten Entzug. Raus aus der Klinik, dauert es nicht lange, bis sie wieder an der Nadel hängt. Und der Beschaffungsdruck steigt. Um Drogen kaufen zu können, stiehlt die junge Frau Alkohol, Zigaretten und Kaffee im Supermarkt. Die Ware verkauft sie an Kioske weiter.
Destiny ist 24, als sie zum ersten Mal wegen Diebstahls ins Gefängnis muss. Dort macht sie eine Therapie, trennt sich von ihrem Freund, als sie raus kommt, ist sie clean. Und hoffnungslos. „Ich war zu feige, Kontakt zu meinen alten Freunden aufzunehmen, habe keinen Job gefunden, mein Alltag hatte keine Struktur“, erinnert sie sich.
Es dauert ein halbes Jahr, bis sie wieder regelmäßig zum Theaterplatz geht, „da sind ja immer Leute, die man kennt“. Bekannte, betont Destiny. Aber Freunde? „Das sind alles Zweckgemeinschaften. Richtige Freunde würden einen doch davon abhalten, Drogen zu nehmen, statt einem Stoff zu schenken, wenn man clean ist.“
Auf dem Theaterplatz lernt sie auch ihren neuen Freund kennen. Der fährt regelmäßig über die Grenze nach Holland, um Drogen zu besorgen. Destiny bringt die anschließend in Krefeld unter die Leute. Wegen Dealerei und Körperverletzung kommt sie mit Ende 20 wieder hinter Gitter, diesmal für drei Jahre. In dieser Zeit macht sie eine Ausbildung zur Modenäherin, erfolgreich, darauf ist die 37-Jährige stolz.
Als sie die JVA verlassen kann, ist sie nicht nur clean, „ich war auch hochmotiviert und wollte die Designhochschule besuchen“. Doch das Arbeitsamt macht ihr einen Strich durch die Rechnung: „Eine Förderung wäre zu teuer gewesen“, habe es geheißen. „Es dauerte nicht lange, dann ging’s wieder zum Theaterplatz.“
Wenn man sie Junkie nennt, wird Destiny sauer. „Junkies sind schmutzige Leute, ich bin eine, die gegen das Betäubungsmittelgesetz verstößt.“ Bei ihrem nächsten Entzug lernt Destiny in der Klinik ihren Lebensgefährten kennen, in dessen Wohnung wir jetzt, sechs Jahre später, sitzen. „Wir waren beide clean, haben viel geredet, das war ’ne richtig schöne Zeit. Ein Jahr und drei Monate.“ Daran erinnert sie sich ganz genau, während der Blick ins Leere schweift. Dann habe ihnen ein Bekannter vom Theaterplatz zwei Gramm Heroin in die Hand gedrückt . . .
Vor einem Jahr hat Destiny einen Abschiedsbrief geschrieben. Wer sich nach ihrem Tod um ihren Hund kümmern soll, stand darin. „Ich hatte Angst, zu sterben.“ Vollgedröhnt habe sie depressiv, antriebslos und schlaflos auf dem Sofa gelegen und auf den Fernseher gestarrt, ohne überhaupt zu bemerken, ob der an- oder ausgeschaltet ist. „Ich habe gezittert und musste mich übergeben.“
Die Leberzirrhose, unter der sie infolge einer Hepatitis-Infektion seit Jahren leidet, erwähnt Destiny eher beiläufig. „Normale Leberwerte liegen bei 30, meine bei 800“, sagt sie. Was sie sich für die Zukunft wünscht? „Die Zeit zurückzudrehen, mit dem Wissen von heute.“ Was sie dann anders machen würde? „Alles“, sagt Destiny. Ihre Prognose für die Zukunft ist nüchtern: „Noch zehn Jahre leben, das wäre schön“, sagt sie — und schiebt nach, „das ist besser als eins, oder?“