Venloer Händler wollen deutsche Testkäufer
Weil ein Großteil ihrer Kundschaft von der anderen Seite der Grenze kommt, setzen die Niederländer auf sogenannte Mystery-Shopper wie Florian Bähren. Er braucht einen Blick für jedes Detail.
„Sagen Sie, haben Sie Brot ohne Nüsse?“, fragt der deutsche Kunde. „Das habe ich nur am Wochenende“, antwortet die freundlich lächelnde Dame hinter der Theke mit niederländischem Akzent. Der Mann hakt nach: „In allen Broten hier sind Nüsse?“ „Nein, nein“, korrigiert die Verkäuferin sich und ihre vorherige Aussage. „Nur in diesem einen“, sagt sie und zeigt — etwas nervös — auf einen der Laibe. „Was ist in den anderen drin?“, fragt der Kunde weiter und klärt über seine Nussallergie auf, wegen der besagte Zutat gefährlich wäre. Die Mitarbeiterin antwortet „Spelt, das ist, das ist, auf Deutsch . . .“. Sie ruft eine Kollegin herbei, fragt nach. „Dinkel.“
Das Gespräch, das Florian Bähren an diesem Tag in einem Venloer Lebensmittelgeschäft führt, bleibt schwierig. In einem Urlaub wären solche Verständigungsprobleme völlig normal. Aber der 28-Jährige ist als Testkäufer in Venlo unterwegs. In der fast in ganz NRW bekannten niederländischen Shopping-Stadt kurz hinter der Grenze möchten die Kunden — das mag jeder finden, wie er will —, dass die Mitarbeiter der Geschäfte Deutsch verstehen und sprechen. Und die Inhaber der Läden erwarten es von ihrem Personal ebenfalls — aus gutem Grund. „Die niederländischen Einzelhändler in Venlo sagen, dass sie mindestens 70 bis 80 Prozent deutsche Kunden haben“, berichtet der professionelle Mystery-Shopper, wie Testkäufer auch genannt werden. Vor allem an Samstagen und an Sonntagen, wenn auf deutscher Seite die meisten Geschäfte geschlossen sind, zieht es Kauflustige auf die Einkaufsmeile zwischen Nolensplein und dem Maasboulevard mit seinen Arkaden.
Bähren bummelt unauffällig durch die Regale, die Obst- und Gemüseauslagen. Er packt drei verschiedene Äpfel unterschiedlicher Preiskategorie in eine Tüte und fragt auch gleich noch den Mitarbeiter, der Ware sortiert, welche Taste er drücken muss. „Freundlich war er, hat gegrüßt“, fasst er danach zusammen, „aber dass es drei verschiedene Äpfel sind, hat er nicht gesehen, und der Preis ist der von noch einem ganz anderen Apfel.“
Bährens Blick fällt auf aufgeschnittenes Obst, das in Probierschalen angeboten wird. Gut gemacht und appetitlich findet er das grundsätzlich. Aber dann kommt ein weiterer Punkt zum Tragen, der den Einsatz eines deutschen Test-einkäufers erklärt. „Die meisten Deutschen sind pingeliger als Niederländer“, zeigt der Jungunternehmer auf einige Orangenstücke. „Es gibt keine Picker, um sich das Obst herauszunehmen, da kann jeder drin rumwühlen. Das mögen Deutsche nicht.“
Freundlichkeit, Servicegedanke, Sauberkeit sind Punkte, auf die der Firmengründer, der mit Bähren Mystery als einziges deutsches Unternehmen mit Testkäufen in Venlo im Einsatz ist, unter anderem achtet. Aber auch auf abgelaufene Mindesthaltbarkeitsdaten achtet er beispielsweise bei Checks in Lebensmittelgeschäften. Er versucht, ähnlich aussehende Ware für den günstigeren Preis des einen Produkts durch die Kasse zu schummeln.
Die drei bereits abgewogenen Äpfel hält er noch lange in der Hand, als das Brot bereits übers Band läuft. Die Kassierin bemerkt es nicht. Als die Tüte längst aus der Sicht der Marktmitarbeiterin verschwunden ist, legt er sie dann doch noch ordnungsgemäß aufs Band. „Es gibt für Einzelhändler nichts Schlimmeres als Fehlbestände bei der Inventur. Aber es kommt immer darauf an, was für einen Schwerpunkt die Chefs legen. Das teste ich dann“, sagt Bähren, der alles, was dokumentierbar ist, mit seiner Handykamera festhält.
Das fängt schon mit der Außenansicht an. „Sieht das Geschäft überhaupt offen aus? Sind die Schaufenster geputzt? Gibt es draußen Auslagen? Wie sehen die aus?“, berichtet der Firmenchef, der vor anderthalb Jahren mit dem Geschäftsmodell an den Start ging und mittlerweile mit deutschlandweit knapp 500 Freiberuflern alles vom Internet-Händler über Discounter, Tankstellen, Café-Ketten und niederrheinische Bäckereifilialen bis zum Autohaus unter die Lupe nimmt.
Er allein kommt mittlerweile auf weit über tausend Testkäufe. In Venlo gehört außer Lebensmittelgeschäften, denen „die Freundlichkeit der Mitarbeiter gegenüber Kunden am wichtigsten ist“, eine Hotelkette zu seinen Kunden, die regelmäßig deutsche Businessgäste hat. „Da würde ich wegen eines Haares auf dem Kopfkissen zum Beispiel ein neues Zimmer fordern und schauen, was passiert.“ Außerdem nimmt Bähren niederländische Sportevents zum Beispiel in Bezug auf Einlass, Sicherheitsaspekte, Gastronomie, WCs in Augenschein. Letzteres sei bei allen Gastro-Einsätzen ein ganz wichtiger Aspekt.
Bähren ist es bei allem aber wichtig zu betonen, dass es bei den Ergebnissen eigentlich nicht darum geht, Mitarbeiter zu rüffeln, sondern, wenn nötig, zu schulen und die guten auch zu belohnen. „Chefs sollen ja den Hang haben, Probleme mit Lob zu haben. Durch mich haben sie solche Fakten schwarz auf weiß“, erklärt Bähren, der zum Abschluss seiner Venlo-Tour in einem Café in der Fußgängerzone der Venloer Innenstadt sitzt. Sehr genau beäugt er nicht nur das Getränk, das er sich gerade bringen lässt. Reflexartig dreht er das Karamellkeks-Päckchen um und checkt das Haltbarkeitsdatum. „Ich glaube, ich bin berufsbedingter Nörgler“, lacht er über sich selbst.