Von der Hausweberei zum Fabriksystem an der Ulmenstraße
Bei einem Stadtrundgang berichtet Historikerin Irene Feldmann über die Situation der Krefelder Arbeiter um 1900.
Süd. Eine Gruppe traf sich am Samstagmorgen auf der Ulmenstraße im Südwesten der Stadt zu einem Stadtrundgang besonderer Art. Die IG Metall hatte eingeladen zum Thema „Soziale Lage — Soziale Frage“. Es ging um die Situation der Krefelder Arbeiter um 1900. Die bei der Gewerkschaft tätige Historikerin Irene Feldmann hatte die älteste Arbeitersiedlung der Stadt ausgesucht, um dort auf den Übergang von der Hausweberei zum Fabriksystem aufmerksam zu machen. An der Ulmenstraße, die an der Spinnereistraße liegt und wohl den wenigsten Krefeldern bekannt ist, erstrahlen auf etwa 200 Meter die restaurierten Gebäude der um 1900 von der Baumwollspinnerei errichteten Siedlung.
Nach dem Niedergang der einst mächtigen Spinnerei um 1970 drohte die Siedlung zu verfallen. Doch es gelang der Erhalt, sie steht heute unter Denkmalschutz und gibt Zeugnis von den damaligen Bemühungen um die Arbeiterschaft. Eine weitere Station war das Gebiet, auf dem von 1900 bis 1970 die Baumwollspinnerei lag. Diese Firma hatte in ihrer Blütezeit mehr als 1000 Mitarbeiter, vor allem Frauen. Hier wurde Baumwolle versponnen, und in den letzten Jahren wirkte man sogar Perlonstrümpfe. Das große Werk entstand auf Initiative einer Sozialen Kommission, bestehend aus Arbeitgebern, Arbeitnehmern und der Politik.
Die Krefelder Weber, sich als Selbstständige verstehend, waren schwer für die Fabrikarbeit zu begeistern. Also warb man Arbeiter aus Böhmen und Sachsen an. Heute ist der ehemalige Fabrikkomplex bebaut mit Mehr- und Einfamilienhäusern. Als man einen großen Spielplatz unter herrlichen alten Bäumen erreichte, rief eine Teilnehmerin: „Das ist ja die Stelle, wo früher der Prinzipal wohnte. Er hatte dort eine herrschaftliche Villa, die von einer Mauer umgeben war. Wir wohnten gegenüber.“ Weiter ging es dann bis zur Seyffardtstraße, wo der fast zweistündige Rundgang endete. Die Straße, wusste Feldmann zu berichten, ist benannt nach Ludwig Friedrich Seyffardt (1827—1901), der als für die Arbeiter sorgender Firmenchef und liberaler Politiker viele Jahre den Vorsitz der Armenverwaltung innehatte. In seinem Testament bedachte er neben der Armenverwaltung auch die Stadtbibliothek und das Kaiser-Wilhelm-Museum.