Weisser Ring Warum sich Opfer von Straftaten oft alleingelassen fühlen

Krefeld · Interview Der Weiße Ring hat eine neue Leiterin. Eliane Vogt und ihr Vorgänger Walter Domröse erklären, wie sie Betroffenen helfen können und wo es noch Probleme gibt.

Die neue Leiterin der Außenstelle des Weißen Ringes Eliane Vogt und ihr Vorgänger Walter Domröse stellen ihre Arbeit vor.

Foto: dpa/Maurizio Gambarini

Von Einbrüchen oder Diebstählen bis zu Gewaltverbrechen oder Sexualstraftaten — die ehrenamtlichen Mitarbeiter des Weißen Ringes in Krefeld betreuen im Jahr in mehr als 200 Fällen Opfer von Straftaten. Eliane Vogt ist die neue Leiterin der Krefelder Außenstelle. Am Donnerstag wird sie im Polizeipräsidium offiziell vorgestellt. Im Interview sprechen sie und ihr Vorgänger Walter Domröse über ihre Arbeit für den Weißen Ring, Fälle, die ihnen in Erinnerung geblieben sind und sie erklären, was sich bei der Betreuung von Opfern noch verbessern muss.

Was macht der Weiße Ring?

Walter Domröse: Also der ist 1976 gegründet worden als gemeinnütziger Verein zur Unterstützung von Kriminalitätsopfern. Man hat gesehen – und das hat sich in der Zwischenzeit fast nicht geändert –, dass sich alle Welt um Täter kümmert, die Opfer aber eigentlich unbetreut bleiben und oft genug ein Leben lang unter den Folgen von vorsätzlichen Straftaten leiden. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, als Ehrenamtler, dass wir die Leute unterstützen, dass wir also erstmal zuhören.

Eliane Vogt: Die immaterielle Hilfe ist mit das wichtigste. Angefangen von Zuhören, wenn die Betroffenen sich an uns wenden, bis zur Begleitung zu Aussagen bei der Polizei oder sogar Prozessbegleitungen, wenn das Verfahren dann vor Gericht behandelt wird. Materielle Hilfen gehen los beim Diebstahl, wenn es heißt: „Mir ist das Portemonnaie gestohlen worden und ich habe bis Ende des Monats nichts mehr zu Essen.“ Oder jetzt haben wir verschiedene Wohnungsbrände aufgrund von Brandstiftung hier in Krefeld gehabt, da wenden sich die Opfer an uns und sagen: „Ich habe keine Kleidung mehr, die ich anziehen kann.“ Auch da helfen wir weiter, dass zumindest die Erstausstattung wieder gewährleistet ist.

Herr Domröse, Sie hatten gerade gesagt, die Opfer fühlen sich allein gelassen – woran liegt das?

Domröse: Also einmal ist ein Opfer, ja schon so ein bisschen traumatisiert. Man fühlt sich in heimischen Umgebungen sicher und auf einmal gibt es einen Einbruch oder häusliche Gewalt – also dieses Sicherheitsgefühl ist weg. Und die Opfer fallen wirklich in ein ganz tiefes Loch und je sicherer die sich vorher gefühlt haben, desto tiefer ist dieses Loch. Der klassische Ablauf ist, die Leute gehen zur Polizei und erstatten Anzeige. Es ist aber so, dass die Polizei sich in der Tiefe nicht mit einem einzelnen Fall beschäftigen kann. Die können sich nicht so wie wir eine Stunde oder länger Zeit nehmen und den Leuten zuhören und einfach abchecken, wo kann man helfen, wo kann man den Menschen hinschicken, sondern die haben eine Art Notdienst, sitzen auf der Wache, da sitzen vielleicht noch mehrere Leute auf der Bank und innerhalb von 15 Minuten muss so eine Anzeige aufgenommen sein. Die Leute gehen dann zwar raus, haben eine Anzeige erstattet, aber sie sind eigentlich alleingelassen. Also dieses – wie heißt das immer so schön – dieses subjektive Sicherheitsgefühl, das ist weg. Unterm Strich ist die Polizei immer ganz stolz, dass sie verkünden kann, dass die allgemeinen Zahlen heruntergehen, laut Statistik gibt es weniger Straftaten. Aber ich sage immer gerne, wen’s trifft, den trifft’s und dem ist es eigentlich ziemlich egal, ob im letzten Jahr fünf Prozent weniger Einbrüche waren.

Welche Fälle lassen Sie nicht so schnell wieder los?

Domröse: Was mir besonders an die Nieren gegangen ist, sind Straftaten gegenüber älteren Menschen. Also da einfach die Gutgläubigkeit von älteren Leuten auszunutzen und sie bösartigst zu überfallen, zu betrügen, die dazu zu bringen, ihren ganzen Schmuck einem angeblichen Polizisten auszuhändigen – wenn sie dann mit so einem Opfer zu tun haben, das ist fertig mit der Welt, das glaubt nichts mehr. Zum anderen hatte ich einen Fall, wo eine ältere Dame die Tür aufgemacht hat, wohnte alleine in einem Häuschen, man hat ihr erzählt, es wäre ein Verkehrsunfall passiert und man müsste doch mal eben telefonieren. Und als Dankeschön hat man sie bösartig niedergeschlagen, hat ihr sämtlichen Schmuck weggenommen, ihr noch einen Finger gebrochen, als man ihr den Ring abzog. Und meiner Meinung nach haben wir Glück gehabt, dass diese alte Dame den Angriff so überlebt hat. Die war danach so fertig, dass die nach Krankenhausaufenthalt ins Altenheim gehen musste, weil sie nicht mehr da in diesem Häuschen leben konnte. Also eine Geschichte ist, man wird einmal Opfer einer Straftat, das Leben läuft danach völlig anders.

Vogt: Was mich besonders belastet, ist Missbrauch von Kindern. Also, wenn Kinder betroffen sind, das ist dann schon furchtbar. Man sieht wie die Kinder aber auch die Eltern stark leiden. Oder das andere Elternteil, was also nicht Täter ist, gegebenenfalls. Die dann total von der Rolle sind und sagen, was habe ich falsch gemacht als Mutter zum Beispiel. Dass ich das nicht erkannt habe, dass mein Kind über Jahre missbraucht worden ist. Also das sind dann traumatisierende Erlebnisse, auch für die Mutter dann. Und das nimmt einen dann schon mit, zumal man selbst Mutter ist und weiß, wenn mir sowas passiert wäre. Da ist man schon näher dran. Und da können wir helfen, in dem wir ganz viel zuhören erst einmal und des Weiteren auch Hilfsangebote machen, wie eine Erholungsfahrt zum Beispiel. Dass die Kinder mal mit der Mutter eine Zeit lang ganz für sich sein können, von dem allgemeinen Wohnumfeld, wo die Taten auch stattgefunden haben, mal Abstand nehmen können.

Was muss sich bei der Betreuung der Opfer noch verbessern?

Domröse: Zwei Dinge fallen mir eigentlich auf Anhieb ein. Einmal ist das der große Bereich der anonymen Spurensicherung. Dass also Opfer, die Opfer einer Sexualstraftat geworden sind, aber nicht direkt Anzeige erstatten wollen – aus welchen Gründen auch immer –, sich an ein gerichtsmedizinisches Institut oder ein entsprechendes Krankenhaus wenden können, um die Spuren, die ja flüchtig sind, zu sichern, aber nicht direkt eine Anzeige erstatten müssen. Das ist in den letzten Jahren nicht gut gelaufen. Da gibt es jetzt eine Gesetzesinitiative, dass das sich ändern soll. Ich hoffe es sehr. Und zum anderen das Opferentschädigungsgesetz. Da ist es einfach so, dass die Hilfen, die da möglich sind, einfach nicht schnell genug kommen.

Vogt: Der Punkt ist auch da gerade die psychische Belastung. Also, wenn jemand durch eine Straftat eine Verletzung erlitten hat und die wird ihn sein ganzes Leben oder eine lange Zeit belasten. Dann ist das offensichtlich. Aber psychische Schäden, da ist problematisch darzustellen, dass sie in Zusammenhang mit der Straftat auftraten. Diese Darstellung, beziehungsweise Beweissicherung, das ist auch ein Problem, immer noch. Viele sagen, natürlich bin ich nur aufgrund dieser Straftat nicht mehr arbeitsfähig, ich kann das nicht mehr. Das richtig zu beweisen, ist schwierig.

Wo sehen Sie aktuell Herausforderungen?

Vogt: Herausforderung ist jeder einzelne Fall. Jeder ist anders. Also wenn man jetzt denkt, ich habe jetzt hundert Fälle erledigt, so jetzt bin ich sattelfest, dann kommt wieder was, wo du sagst: Ups, was machst du jetzt? Da ist immer auch viel Menschenkenntnis wichtig, Lebenserfahrung, die man dann auch mit einspielen lässt und dann natürlich die ganzen Möglichkeiten, die man hier im Netzwerk hat. Das ist, denke ich, auch eine wichtige Aufgabe, die ich gerne weiter erhalten möchte und weiter entwickeln möchte, die Netzwerkarbeit hier in Krefeld. Man kann nicht alles alleine machen, wir sind auch nicht psychologisch geschult. Da ist es wichtig, dass wir wissen, wir können uns an die Krisenhilfe wenden oder ans Traumazentrum, Frauenhaus et cetera.

Warum sind Sie zum Weißen Ring gekommen?

 Vogt: Ich habe 40 Jahre bei der Stadt Düsseldorf gearbeitet, war die letzten Jahre Bezirksverwaltungsstellenleiterin und vorher Referentin im Ordnungsdezernat und habe da mitgewirkt den kriminalpräventiven Rat auf Stadtebene und dann später auf Bezirksebene zu installieren. Insofern hatte ich da eine gewisse Affinität. Und dann war ich zu Hause und habe dann eine sinnvolle weitere Tätigkeit gesucht. Ich fühle mich soweit noch fit und diese Arbeit hat mich dann sofort angesprochen. Dass ich jetzt schon Außenstellenleiterin werde oder geworden bin, das habe ich nicht im Plan gehabt, aber da wollte der Walter halt leider nicht mehr weitermachen, kein anderer hat es machen wollen und ich habe die Zeit. Ich kann mir das gut vorstellen. Ich muss halt noch ein bisschen mehr Erfahrung sammeln, ich bin erst seit letztem Jahr dabei, aber ich bin guten Weges.

Und bei Ihnen? Und warum hören Sie auf?

Domröse: Warum mache ich das? Ich habe 42 Dienstjahre bei der Polizei hinter mir. Und die Situation, draußen biegen sich die Bänke und die Leute wollen alle eine Anzeige erstatten, die habe ich oft genug miterlebt. Oder eben als Tatortbeamter (als Kriminaltechniker) von Einbruch bis Mord – dass man also seinen Schwerpunkt auf einer ganz anderen Ebene hat. Die Polizei muss dafür sorgen, dass der Täter gerichtsfest überführt wird und man hat schlicht zu wenig Zeit für das Opfer. Und das habe ich schon recht früh erkannt und bin deswegen Mitglied im Weißen Ring geworden und im Hinblick auf den Ruhestand dann eben auch aktiv. Jetzt merke ich einfach, dass es genug ist, also dass die Menge an Straftaten einfach so… es ist genug. Ich muss für mich selber erkennen, es geht nicht mehr.