Gastbeitrag Wir sagen JA!
In Deutschland leben laut Statistischem Bundesamt zum Ende des Jahres 2020 etwa 42 Millionen (50,6 Prozent) Frauen und 41 Millionen (49,4 Prozent) Männer. Beide sind laut Artikel 3 des Grundgesetzes gleichberechtigt.
Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
Über 70 Jahre nach Verabschiedung der Verfassung erleben wir eine weltweite Pandemie und, uns wird täglich vor Augen geführt, wie es um die Geschlechtergerechtigkeit bestellt ist: Frauen sind stärker von Arbeitslosigkeit, Einkommenseinbußen und Kinderbetreuungsaufgaben, aber auch von häuslicher Gewalt betroffen. Die Corona-Pandemie wirkt hier wie ein Vergrößerungsglas.
Jährlich errechnet das Bundesamt für Statistik den Lohnunterschied zwischen den Geschlechtern (Gender Pay Gap): 2019 verdienten Frauen durchschnittlich 19 Prozent weniger als Männer. Im europäischen Vergleich ist der GPG nur in Österreich und Estland noch höher. Die Gründe sind vielfältig: Frauen arbeiten häufig in den vergleichsweise schlechter bezahlten Bereichen der Gastronomie, der Kunst, Unterhaltung und Erholung sowie in den als systemrelevant eingestuften Bereichen der Pflege und des Einzelhandels und sind häufig in Teilzeit oder in prekären Beschäftigungsverhältnissen (Minijobs) beschäftigt.
Ungleichheiten im Berufsleben ziehen sich bis ins Rentenalter
Viele geringfügig beschäftigte Frauen verloren im ersten Lock-down entweder ihre Jobs oder reduzierten betriebsbedingt die Arbeitszeit auf ein Minimum. Auch beim Kurzarbeitergeld ziehen Frauen den Kürzeren: Orientiert am Nettogehalt führen schlechtere Bezahlung und die Wahl der höheren Steuerklasse wegen des Ehegattensplittings zu geringeren Ansprüchen. Und die Systemrelevanten? Denen wurde immerhin im Sommer 2020 von den Balkonen applaudiert.
Bereits vor Corona wird die Rentenlücke (Gender Pen-
sion Gap) in Deutschland mit 46 Prozent angegeben. 2016 musste jede fünfte alleinlebende Seniorin mit weniger als 900 Euro auskommen. Für eine Studie der BertelsmannStiftung haben das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung und das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in die Zukunft geschaut: Bis zum Jahr 2036 wird der Anteil der jeweils 67-jährigen alleinstehenden Frauen, deren Einkommen nicht fürs Leben reicht, stark steigen. Im Untersuchungsjahr 2016 waren 16,2 Prozent von staatlichen Leistungen abhängig, 2036 werden es der Prognose zufolge bereits 27,8 Prozent sein.
Wie in der Pandemie aus den
„drei K“ die „drei H“ wurden
Und Im Privaten? Hatten wir lange gedacht, dass „die drei K“ (Kinder - Küche - Kirche) als soziale Rolle der Frau überholt sind, führt uns Corona den Ersatz mit „drei H“ (Haushalt – Homeoffice – Homeschooling) vor Augen. Spätestens mit der Geburt des ersten Kindes endet in den meisten Partnerschaften eine bis dahin eventuell gleichberechtigte Aufteilung der häuslichen Aufgaben.
Neun von zehn Alleinerziehenden sind Frauen
In einer durch die BertelsmannStiftung Ende 2020 durchgeführten Umfrage gaben 69 Prozent der Frauen an, dass sie die generellen Hausarbeiten erledigen, während das unter den Männern gerade einmal elf Prozent von sich behaupten. Ähnlich verhält es sich bei der Kinderbetreuung und Homeschooling. Bei der Bewältigung der zusätzlichen häuslichen Aufgaben, die mit den Einschränkungen des öffentlichen und beruflichen Lebens einhergehen, finden sich Frauen und Männer häufig in traditionellen Rollen wieder. Die Wahrnehmung ist jedoch sehr unterschiedlich. Zwei Drittel der Männer empfinden die Aufgabenteilung als gerecht, bei den Frauen hingegen weniger als die Hälfte.
Für Alleinerziehende ist die Belastung noch höher. Neun von zehn Alleinerziehenden sind Frauen. Viele davon erhalten Grundsicherung und sind derzeit noch isolierter als in anderen Familienformen. Beengte Wohnverhältnisse und häufig fehlende technische Ausstattung erschweren ihren Kindern den Zugang zum Homeschooling. Die BertelsmannStiftung folgert: „Insofern hat die Corona-Pandemie weniger einen Rückfall in traditionelle Rollen verursacht, sondern scheint vielmehr ans Licht zu bringen, dass die traditionelle Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen in Deutschland bisher so gut wie gar nicht aufgebrochen war.“
Vor über 100 Jahren gingen Frauen auf die Straße und demonstrierten für das Frauenwahlrecht und für Gleichberechtigung der Geschlechter. Heute geht es um Wertschätzung, nicht durch Worte und Applaus, sondern durch gute Arbeitsbedingungen, gerechte Bezahlung und Anerkennung der Lebensleistung für alle. Damit insbesondere Frauen von ihrem Lohn und einer Rente leben können. Für eine tatsächliche Geschlechtergerechtigkeit brauchen wir auch heute noch den offenen und partnerschaftlichen Diskurs zwischen Frauen und Männern, Müttern und Vätern, Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen. Denn, …wir sind (mehr als) die Hälfte! Informationen, auch zum Weltfrauentag 2021 in Krefeld, unter