ThyssenKrupp einigt sich mit Outokumpu - Aus für Krefelder Produktion bis Ende 2013
Essen/Krefeld. Aller Protest scheint vergebens - nach langen zähen Verhandlungen gab die ThyssenKrupp AG am Dienstagmorgen in Essen bekannt, dass man eine Einigung mit dem finischen Konkurrenten Outokumpu erzielt habe.
Die Edelstahlsparte Inoxum geht dabei an die Finnen. Das finnische Unternehmen bezifferte den vereinbarten Preis für die Übernahme von Inoxum auf rund 2,7 Milliarden Euro. Dies setze sich zusammen aus einer Barzahlung von einer Milliarde Euro, einem Aktienpaket an Outokumpu in Höhe von 29,9 Prozent im Wert von ebenfalls rund einer Milliarde Euro sowie der Übernahme von Schulden und Pensionsverbindlichkeiten.
Diese Vereinbarung bedeutet das schrittweise Aus für die Produktion im Stahlwerk Krefeld bis Ende 2013 - erhalten bleibt allerdings der Kaltwalzwerkstandort inklusive der Bandgießerei. Im ebenfalls betroffenen Werk Bochum soll es noch bis "mindestens Ende 2016" in der Flüssigphase weitergehen. Auf betriebsbedingte Kündigungen werde aber bis 2015 verzichtet, hieß es.
Für die von der Schließung der Stahlproduktion betroffenen rund 400 Mitarbeiter in Krefeld sollen nach Gewerkschaftsangaben sozialverträgliche Lösungen gefunden werden, wie etwa die Bereitstellung von Ersatzarbeitsplätzen innerhalb des Unternehmens.
Insgesamt will der finnische Edelstahl-Hersteller Outokumpu nach dem Kauf der ThyssenKrupp-Tochter Inoxum bis zu 850 Stellen in Deutschland streichen. Das kündigte das Unternehmen am Dienstag in Helsinki an. Darin sind die knapp 400 Stellen in Krefeld und rund 450 Mitarbeiter in Bochum inbegriffen. Bis zu 600 der betroffenen Mitarbeiter sollen Angebote für andere Stellen bei ThyssenKrupp bekommen, teilte Outokumpu mit.
"Wir sehen solide Voraussetzungen für einen Erhalt des Standorts Bochum über den vereinbarten Zeitpunkt hinaus", sagte ein Sprecher der IG Metall. Die Gewerkschaft werde auf die Einhaltung der Vereinbarungen bestehen.
Durch die Übernahme der ThyssenKrupp-Sparte wolle man Kostenvorteile von bis zu 250 Millionen Euro pro Jahr erreichen, teilte Outokumpu mit. Dieses Ziel solle spätestens bis zum Jahr 2017 umgesetzt werden.
Die IG Metall Krefeld teilte in einer Erklärung die Eckpunkte des ausgehandelten Kompromisse mit. Demnach haben alle Produktionsstandorte eine Bestandsgarantie bis mindestens Ende 2015. Das Stahlwerk in Krefeld wird allerdings zum 31. Dezember 2013 geschlossen.
Der Kaltwalzwerkstandort Krefeld werde weiter zum Forschungs- und Entwicklungszentrum ausgebaut. Das betreffe auch die Weiterentwicklung der Bandgießtechnologie bis Ende 2013 am Standort. Bis dahin erfolge eine Wirtschaftlichkeitsprüfung der Technologie mit der Option auf Fortführung in Krefeld. Bestehende Investitionszusagen seien bei den Verhandlungen vertraglich bestätigt worden. Die bestehenden Mitbestimmungsvereinbarungen und -strukturen würden uneingeschränkt fortgelten. Für den Ausbau zum Forschungszentrum sollen laut IG Metall 20 Millionen Euro in den Standort Krefeld investiert werden.
Der Vorstand der ThyssenKrupp AG habe bereits grundsätzlich zugestimmt. Am Dienstagmorgen sei dann auch eine Einigung der Verhandlungspartner mit den Arbeitnehmervertretern erzielt worden. Sie enthält Regelungen zur Standort- und Beschäftigungssicherung. "Vereinbart ist der grundsätzliche Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen bis Ende 2015", hieß es.
Der Aufsichtsrat traf sich am Nachmittag zu einer außerordentlichen Sitzung, um endgültig grünes Licht zu geben. Die Entscheidung gilt aber nur noch als Formsache.
Laut IG Metall sei die Einigung über die Beschäftigungs- und Standortsicherung für die Edelstahlsparte nach „sehr langen und äußerst schwierigen Verhandlungen“ zustande gekommen. „Wir haben kein Ergebnis erreicht, das zum Jubeln Anlass bietet. Für die Beschäftigten und ihre Familien konnten wir aber Arbeitsplätze, Einkommen und Perspektiven absichern“, sagte IG-Metall-Vorstandsmitglied Bertin Eichler.
"ThyssenKrupp hat die schwierige wirtschaftliche Lage des Konzerns und letztendlich auch von Stainless allein zu verantworten. In dem extrem schwierigen und angespannten Verhandlungsprozess konnten wir dennoch eine Sicherung für alle Beschäftigten erreichen, die Entscheidung von ThyssenKrupp und Outokumpu zur Schließung der Flüssigphase in Krefeld war jedoch nicht zu verhindern. Am Ende zählt: Wir haben für vier Jahre den Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen durchgesetzt, mit Zukunft der Nirosta-Standorte und Erhalt einer Flüssigphase, das ist ein Erfolg", sagten die Verhandlungsführer der IG Metall, Markus Grolms und Marc Schlette.
Den Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen bis Ende 2015 wertete Inoxum-Gesamtbetriebsratschef Bernd Kalwa als einen Erfolg. „Das ist eine 1a-Sicherung per Tarifvertrag“, sagte er. Eine "herbe Enttäuschung" und "Zumutung" sei dagegen die Schließung des Krefelder Werkes für die Arbeiter dort, so Kalwa: „Für die Kolleginnen und Kollegen ist diese Schließung des Stahlwerkes eine Zumutung. Das wird trotz der forcierten Fortführung der Bandgießtechnologie und der Investition in die Zukunft des Standortes Krefeld zum herben Einschnitt für den Standort."
Am Montagabend hatte die CDU-Ratsfraktion noch eine Resolution beschlossen, in der man den "geplanten Verkauf mit Sorge" betrachte. Darin hatte die Fraktion noch den Erhalt aller Standorte gefordert und die "Umsetzung aller bereits gemachten Investitionszusagen". ThyssenKrupp hatte kurz vor Bekanntwerden der Verhandlungen mit Outokumpo noch Investitionen in Millionenhöhe in den Standort Krefeld angekündigt.
Für den Nachmittag war eine erneute Kundgebung in Essen angekündigt. Vom Werk Krefeld aus fuhren ab 14 Uhr Busse nach Essen.
Am Mittag nahmen auch mehrere Politiker Stellung zu dem Verhandlungsergebnis. Der Krefelder SPD-Landtagsabgeodnete Uli Hahnen sprach von einem "Erfolg für Gewerkschaften, Betriebsrat und Arbeitnehmer, jedoch zwiegespaltenen Gefühlen mit Blick in die Zukunft". Standortgarantien und Beschäftigunsgsicherung seien als Erfolg zu werten. Die Ankündigung von zusätzlichen Millionen zur Zukunftsentwicklung des Krefelder Stahlwerkes aber als alleinigen Grund zu nehmen, um ruhigen Gewissens in die Zukunft zu blicken, reiche ihm allerdings nicht aus. "Zuletzt haben das Land NRW und der Bund Fördermittel in Höhe von zusammen 8,8 Millionen Euro für den Bereich der Bandgießanlage genehmigt. Dass dieses Förderung nun nicht ausreicht, um am Standort Krefeld auch über das Jahr 2013 hinaus konkurrenzfähig Stahl zu produzieren, verdeutlicht, dass zusätzliche Fördermillionen alleine nicht für eine endgültige und auf Langfristigkeit beruhende Standortsicherung des Werkes in Krefeld ausreichen werden. Hierfür bedarf es auch eines inhaltlichen Konzeptes. Ich hoffe, dass das angekündigte Forschungs- und Entwicklungszentrum für Kaltwalzprodukte ein solches inhaltliches Konzept darstellt", erklärte Hahnen.
Ebenfalls zu Wort meldeten sich die Krefelder Bundestagsabgeordneten Bernd Scheelen und Siegmund Ehrmann: „Die gute Nachricht dieser Einigung ist: die drohenden Kündigungen sind abgewehrt. Es wird in den nächsten vier Jahren keine betriebsbedingten Kündigungen geben, der Standort bleibt erhalten. Das gibt den Beschäftigten und ihren Familien erst einmal Sicherheit." Somit habe sich "das Kämpfen der Belegschaft und die große Solidarität der Menschen in Krefeld" gelohnt. Schmerzlich sei aber die Schließung der Stahlproduktion nach 2013. Das bedeute das Ende einer langen Krefelder Tradition, was man sehr bedauere. Man hoffe aber, dass das geplante Forschungs- und Entwicklungszentrum für Kaltwalzprodukte diesen Verlust ausgleichen könne. Zusammen mit den fest zugesagten Investitionen von 244 Millionen Euro in den Standort sei das ein Lichtblick. "Auch wenn in Zukunft hier kein Stahl mehr gekocht wird - es wird weiter Stahl und Stahlarbeiter in Krefeld geben.“
Die Trennung von der Edelstahlsparte ist der dickste Brocken beim angekündigten Konzernumbau von ThyssenKrupp. Vorstandschef Heinrich Hiesinger will dadurch im hochverschuldeten Unternehmen Spielräume für den Ausbau der Technologiesparte mit dem Anlagen- und Aufzugbau schaffen. Inoxum erwirtschaftete im zurückliegenden Geschäftsjahr 2010/2011 (30.9.) einen Umsatz von 6,7 Milliarden Euro.
Die nächste große Hürde für das Geschäft ist die Zustimmung der Wettbewerbsbehörden. Der Edelstahlmarkt in Europa gilt trotz der von den Unternehmen beklagten Überkapazitäten als klein. Mit der Übernahme von Inoxum durch Outokumpu entstünde ein neuer Weltmarktführer mit rund 18 000 Mitarbeitern und mehr als zehn Milliarden Euro Umsatz. vobu/dpa