Zoo will Artenschutz intensivieren
Lange Listen bedrohter Tierarten und der Tod des letzten männlichen Breitmaulnashorns — im WZ-Interview spricht Zoodirektor Wolfgang Dreßen über Möglichkeiten und Probleme des Artenerhalts.
Auf der jüngst veröffentlichen Internationalen Roten Liste der Weltnaturschutzunion IUCN wurden 25 821 von 91 523 Tier- und Pflanzenarten als bedroht eingestuft. Jüngst starb das vermutlich letzte männliche Breitmaulnashorn Sudan im Alter von 45 Jahren.
Herr Dreßen, wie haben Sie die Nachricht von Sudans Tod aufgenommen?
Wolfgang Dreßen: Die Zoologen-Welt hat seit Jahren damit gerechnet, dass diese Unterart ausstirbt. Uns war klar, dass hier kein Fortpflanzungswunder geschehen wird, zumal eine aus drei verwandten Gründertieren entstehende Population keine genetische Vielfalt besitzt und damit wenig Zukunft in der Evolution hat. Die Tiere stammten ja aus Zoo-Beständen, und die Funktion des Zoos als Arche hat in diesem Fall versagt - denn Zoo und Artenschützer haben hier viel zu spät gehandelt. Und auch das macht mich traurig.
So bedauerlich der aktuelle Fall ist, kann er auch helfen?
Dreßen: Ja, das kann er, denn Sudan gab dem Artensterben wieder ein Gesicht. Alle Streiter und Kämpfer für den Erhalt der Artenvielfalt auf unserem Planeten nutzen ja schon seit Jahren vor allem attraktive und populäre Arten, um die Menschen wachzurütteln, aktiv im Arten- und Umweltschutz zu werden, Schutzgebiete zu schaffen und dabei die Menschen vor Ort einzubinden. Der Schutz dieser „Flagschiff-Arten“ nutzt zig anderen unauffälligeren und weniger attraktiven Tier- und Pflanzenarten, die denselben Lebensraum bewohnen. Und da sind die Nashörner ein gutes Beispiel. Verschwindet auf unserem Planeten eine Insekten- oder Pflanzenart für immer — und das geschieht bei der derzeitigen Zerstörungsrate der tropischen Regenwälder tagtäglich — merkt niemand etwas davon. Und auch die Medien würden sich wenig darum kümmern, wenn ein Feldforscher das endgültige Aussterben etwa einer Käferart publiziert.
Wenn es um bedrohte Arten geht, denken viele vielleicht an abgeholzte Regenwälder in Südamerika oder verseuchte Gewässer in Asien. Aber direkt vor unserer Haustür, auf unseren Wiesen und Feldern, gibt es das Problem auch. Kann man das vergleichen?
Dreßen: Natürlich ist das vergleichbar. Wir müssen uns allerdings bewusst sein, dass die ursprüngliche Landschaft Europas schon seit mehreren tausend Jahren durch den Menschen verändert und damit deutlich artenärmer wurde. Viele Arten, ob Schmetterlinge, Amphibien oder Säugetiere, die bis heute in Europa vorkommen, leben entweder in ursprungsnahen Restrefugien oder sie haben sich der Kulturlandschaft angepasst. So unterstützen wir im Zoo genauso den Schutz des heimischen Ameisenbläulings im Latumer Bruch, eines kleinen Schmetterlings, der in solchen kleinen Refugien vor unserer Haustür lebt, wie den Schutz des hochbedrohten Spitzmaulnashorns in Südafrika.
Welche Rolle spielen Zoos aus Ihrer Sicht heute für den Artenschutz? Gäbe es eine Möglichkeit für Zoos, noch mehr zu tun? Wenn ja, woran liegt es, wenn das nicht geht?
Dreßen: Die Rolle der Zoos hat sich in den letzten 20 Jahren deutlich geändert: Große Zoos können in ihrem Budget eigene Artenschutzprojekte mit der Übernahme aller Personal- und Sachkosten vor Ort auf die Beine stellen und eine äußerst aktive Rolle im Artenschutz spielen, wie etwa der Bronx Zoo von New York oder der Zoo von Melbourne. Auch in Deutschland gibt es hervorragende Projekte, wie das Engagement der Zoos von Köln und Münster in Vietnam und Kambodscha zeigt. So erinnere ich an das Artenschutzzentrum ACCB des Münsteraner Zoos in Kambodscha, dessen Leiter im März im Krefelder Zoo einen Vortrag zu den dort hochbedrohten Storch-, Ibis- und Schildkröten-Arten gehalten hat. Kleinere Zoos wie Krefeld können derartige Beträge — noch — nicht aus ihrem Budget stemmen und müssen sich mit der Ausschüttung von Spendengeldern an ausgewählte Projekte anderer Organisationen begnügen.
Welche Ziele verfolgt der Krefelder Zoo mit Blick auf den Artenschutz? Wo ist im Zoo gelebter Artenschutz zu finden?
Dreßen: Gemeinsam mit den Zoofreunden schüttet der Zoo seit etwa zehn Jahren die über die Spendentrichter gesammelten Gelder an ausgewählte Arten- und Naturschutzprojekte anderer Organisationen aus. Dabei kommen Beträge von 1000 bis 5000 Euro jährlich pro Projekt zustande. Und es stehen dabei Arten, die wir in Krefeld halten und züchten, im Mittelpunkt, wie etwa der Schutz von Schneeleoparden in Zentralasien, von Baumkängurus auf Neuguinea, von Humboldt-Pinguinen in Chile oder Flachlandgorillas in Zentralafrika. Großformatige Informationstafeln zum Schutz hochbedrohter Arten, die Vortragsreihe zum Thema Artenschutz und auch neue Medien wie etwa die Video-Stele des Naturschutzbunds am Schneeleopardengehege bringen unseren Besuchern dieses abstrakte Thema etwas näher. Trotzdem bleibt es weiterhin eine Herausforderung, das Verschwinden irgendeiner Art auf unserem Planeten emotional wie auch rational an die Gedanken des Besuchers zu koppeln, die er von seinem Zoobesuch dauerhaft mit nach Hause nimmt.
Was gibt es, was Sie als Direktor des Krefelder Zoos sich noch an Möglichkeiten welcher Art auch immer wünschen würden?
Dreßen: Nach der Gründung der GmbH 2005 musste sich der Krefelder Zoo zunächst betriebswirtschaftlich neu aufstellen, wirtschaftlich etablieren und die vielen Altlasten — Tieranlagen und Infrastruktur — angehen. Dieser Prozess wird noch weitere Jahre anhalten, aber wir haben schon viel erreicht und unsere Besucher mit vielen Neuanlagen und gutem Service überzeugt. Ich kann mir mittlerweile vorstellen, dass diese bereit sind, einen festen Beitrag ihres Eintrittsgeldes — etwa 50 Cent — für den Artenschutz auszugeben, wenn wir noch mehr verdeutlichen, wo das Geld landet und was die von uns unterstützten Projekte damit leisten. Das würde die Mittel in unserem Artenschutztopf deutlich vervielfachen.
Noch einmal zurück zum Beispiel Sudan: Mit Hilfe künstlicher Reproduktion versuchen Wissenschaftler unter anderem am Berliner Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung, den Fortbestand des Breitmaulnashorns zu sichern. Artenerhalt durchs Reagenzglas statt Schutz der Lebensräume der Tiere und Pflanzen, ist das die Zukunft?
Dreßen: Es ist zu kurz gedacht: Die künstliche Reproduktion kann nur ein modernes zusätzliches Hilfsmittel darstellen, die genetische Vielfalt einer bedrohten Tierart zu erhalten, sie zu stabilisieren oder gar zu vergrößern. Der Schutz großflächiger Lebensräume und die Einbeziehung der vor Ort lebenden Menschen in derartige Schutzprojekte sind gemeinsam mit den globalen Klima- und Umweltschutzzielen die wegweisenden Instrumente, um die Vielfalt der Tier- und Pflanzenwelt auf unserer Erde zu erhalten.