Dieser Mann klärt die Schuldfähigkeit im Fall Daniel
Dr. Philipp Massing begutachtet, ob Mutter und Ex-Freund im Falle eines Schuldspruchs zur Rechenschaft gezogen werden können.
Erkrath/ Wuppertal. Wer im Wuppertaler Landgericht den Prozess um den Fall Daniel verfolgt, sieht auf der Seite der Staatsanwaltschaft, etwas abseits, einen Mann im dunklen Anzug sitzen. Gelegentlich fragt er einen Zeugen etwas, notiert seine Beobachtungen.
Der Mann mit dem zurückgekämmten, grauen Haar ist Dr. Philipp Massing (57), Psychiater beim Landschaftsverband Rheinland. Gerichte beauftragen ihn, im Rahmen von Strafprozessen Gutachten zu erstellen.
Das Schwurgericht muss die Tat aufklären, die im vorigen Jahr für Erschütterung gesorgt hat: Haben die Mutter oder ihr damaliger Freund den zweijährigen Daniel aus Erkrath so verbrüht und misshandelt, dass er im vergangenen Mai starb? Der Gutachter soll dabei untersuchen, ob die Angeklagten überhaupt schuldfähig wären — wenn sie am Ende des Verfahrens denn als Schuldige verurteilt werden sollten.
Es sind meist Fragen nach gewöhnlichen Situationen, die der Psychiater stellt: Ob der Angeklagte bei Familienfesten dabei war, wie sich ein bestimmter Stimmungsumschwung bemerkbar gemacht hat. „Ich sehe den Betroffenen nicht in seinem Alltag, sondern in einem Krankenhaus oder in einer Gefängniszelle“, sagt Dr. Massing. Wichtig sei, eine Vorstellung von ihm in seinem gewohnten Umfeld zu bekommen.
Das mündliche Gutachten in der Verhandlung ist ein Beweismittel für das Gericht. „Der Gutachter erklärt nicht für schuldfähig. Man stellt fest: ,Die Voraussetzungen können bejaht werden’ — oder eben nicht“, erklärt der Experte. Das heiße, falls eine Erkrankung vorliege, müsse geklärt werden, ob die Tat damit im Zusammenhang stehen kann.
Im Fall Daniel hatte der Gutachter beschrieben, wie der Angeklagte Gewalt weit von sich weise, ein rein positives Bild von sich zu zeigen versuche. Der Ex-Freund der mitangeklagten Mutter des getöteten Kindes habe zwar bemerkt, dass Daniel Notsignale aussandte, aber nicht darauf reagiert. Der 24-Jährige stamme aus einer sogenannten „Wagenburg-Familie“, die Einflüsse von Außen zurückweise.
All dies sind zwar Auffälligkeiten, die aber nicht als Krankheit zu werten sind. Massing: „Das Handeln dieser Person kann ich mit einer psychiatrischen Störung nicht erklären.“
Ob die Mutter aus Angst, die Liebe ihres Freundes zu verlieren, gegen ihre Kinder gewalttätig geworden sei, wollte das Gericht vom Gutachter wissen. „Wie bei einem Junkie, der sich vor dem Entzug fürchtet, meine ich“, erklärte der Richter. „Die Angst müsste dafür das Ausmaß einer Psychose erreichen. Das habe ich nur einmal gesehen“, wehrte der Gutachter ab.
Ob die Richter der Auffassung des Gutachters folgen, ergibt das Urteil Anfang Mai.