Hagen Rether hält dem Publikum den Spiegel vor
Eine Gratwanderung zwischen Amusement und Betroffenheit.
Erkrath. Eigentlich hätte es nur wenig Attacken auf die Lachmuskeln geben dürfen, denn Hagen Rether, seit Jahren gerngesehener kabarettistischer Gast in Erkrath, hielt der Gesellschaft und damit auch seinem Publikum den Spiegel vor, indem er alles an den Pranger stellte, was die Menschen dulden, nur weil es ja immer so war.
Die Großeltern mussten noch frieren, aber heute sind Panikattacken und Angstsyndrome zu Volksleiden avanciert. Warum, — wir haben doch alles. Und doch: was soll der Unsinn, die Kinder mit 17 Jahren ihr Abitur machen zu lassen, wenn sie mit 50 um ihren Job bangen müssen. Heutzutage werden sie an die 100 und laufen dann zig Jahre an Stöcken durch den Wald.
Es war schon faszinierend, wie der Kabarettist sein Publikum auf dem Grat zwischen eigener Betroffenheit und famoser Unterhaltung wandern ließ.
Sex und Gewalt — ein wichtiger Teil im Programm des Esseners. Der klug hinterfragte, warum ein nackter Busen Jugend gefährdend sei, aber die Fantasyfilme im Kinderprogramm, die reines Völkermorden zeigen, akzeptiert werden. Eine nackte Brust scheint wirklich für Kinder gefährlich zu sein, — vor allem für Kleinkinder!! Da geht der Papa mit seinem Vierjährigen sonntags doch lieber auf den Schießstand — Überschrift in amerikanischen Zeitungen: Vierjähriger erschoss seinen Schießlehrer!!
Auch das Thema Missbrauch von Kindern nahm großen Raum ein und die provokante Frage, ob die Wut der Öffentlichkeit über Edathy und Co. sich wirklich ins Verhältnis setzen lässt zu jahrelangem Missbrauch in Schulen, Klöstern und vergleichbaren Institutionen.
Überhaupt, — der Wutbürger nimmt mittlerweile eine moraline Stellung ein, die der Realität nicht immer angepasst ist. Alle Welt hat Mitleid mit den Opfern von Attentaten, — na klar, aber haben wir auch Mitleid mit den Angehörigen der Täter?
Mit semantisch köstlichen Paradoxien, wie „herrenloses Damenfahrrad“, „hoffnungsloser Optimist“ oder „Nützliches aus Filz“ brachte der Unterhalter die Stimmung auch wieder auf ein Niveau zum Aufatmen. Eine Show, der die Balance zwischen Amusement und Nachdenklichkeit auf’s prächtigste geglückt ist.