Ulrich Scharfenorth erzählt von seinem Leben hinter der Mauer
Humorig und berührend zeichnet der Autor ein Bild vom Alltag in der DDR.
Erkrath. Die Stadtbücherei Hochdahl hatte zum Leseabend mit „heimischem“ Autor geladen: Der Wahl-Ratinger Ulrich Scharfenorth las aus seinem Buch „Da war mehr als Bitterfeld“. Mit Lesungen wie diesen möchte der Literaturkreis Era (steht für Erkrath und Ratingen) seinen Autoren eine Bühne bieten.
Ulrich Scharfenorth, Autor
Wie das Leben in der DDR war, glauben wir zu wissen. Jede Menge Geschichten und Dokumentationen gibt es darüber. „Das Bild ist meist dieses: Stasi, marode, faul“, sagt Autor Ulrich Scharfenorth. „Vieles davon, vor allem die Berichte über die Stasi, stimmen natürlich, aber das Bild ist unvollständig. Der Alltag wird oft nicht dargestellt, weil er nicht spannend genug erscheint.“ Genau das macht Scharfenorth aber. In Kurzgeschichten erzählt er von einem Leben hinter der Mauer. Manche Texte sind urkomisch, andere gehen ans Gemüt. Viele zeichnen die Grauzonen dazwischen nach. Melancholisch-schön begleitet wurde Scharfenorths Vortrag von Lorenz Görtzen an der Gitarre.
Seit Anfang der 1990er Jahre lebt Scharfenorth in NRW. Geboren wurde er jedoch 1941 in Lehnitz, Brandenburg. Seine frühste Kindheitserinnerung, sagt er, sei die an einen Bombenangriff kurz vor Kriegsende. Diese Erinnerung hat er auch für den ersten Text des Buches ausgewählt. Die nächsten Geschichten erzählen vom Aufwachsen in der jungen DDR. Besuche bei der Verwandtschaft in West-Berlin, wo man mit „denen aus dem Osten“ stolz Rock’n’Roll und Comic-Hefte teilte, werden ebenso thematisiert wie die beginnende Karriere als Ingenieur in der Stahlindustrie.
Den Druck der Diktatur hat er im Berufsleben deutlich zu spüren bekommen. Trotzdem machte er seine Arbeit gern. „Vielleicht habe ich deshalb auch die Wende anders erlebt“, so der Autor. Es überwogen Freude und Triumph, aber ihn habe der Mauerfall beruflich schwer getroffen. Scharfenorth ging dann nach Düsseldorf, ans andere Ende der neuen Republik. Er wurde Journalist beim Fachmagazin „Stahl und Eisen“, gründete später ein eigenes Magazin. „Geschrieben habe ich schon viel früher“, erzählt er. „In diesem Buch konnte ich dann Literarisches und Dokumentarisches verbinden.“
Überwiegt in den Geschichten aus der DDR das Dokumentarische, so sind die Episoden nach der Wende kleine literarische Experimente. „Diese Zeit war für mich eine Art kuriose Neubelebung“, sagt Scharfenorth. Verarbeitet hat er seine Erlebnisse in surrealen, weniger biografischen Texten. Angekommen ist er in der neuen Heimat dann doch — mit Hilfe der Literatur. Im Literaturkreis Era lernte er seine Frau Barbara Ming kennen. Die beiden sind seit 1994 verheiratet und mit Projekten wie Era und der Ratinger Kulturkneipe in der lokalen Kulturszene bekannt.