„Vielleicht die älteste Therapieform“

Die Naturtherapeutin Annette Bergmann ist Referentin eines Workshops im Naturschutzzentrum Bruchhausen.

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Im Oktober findet im Naturschutzzentrum Bruchhausen ein Workshop zum Thema „Die Heilkraft der Natur und das Verhältnis von Mensch und Tier“ statt. Wir sprachen mit einer der Referentinnen, der Naturtherapeutin Annette Bergmann, über das Wesen von Naturerfahrungen.

Müssen wir in der modernen Zeit die Naturerfahrung neu lernen?

Bergmann: Viele Erwachsene und auch Kinder haben den Zugang zur Natur verloren. Ich nenne es „Naturentfremdung “ der Gesellschaft. Dabei ist es egal, ob die Menschen in der Stadt oder auf dem Land leben. Wir leben immer weniger im Einklang mit der Natur. Für uns ist es selbstverständlich, den Strom aus der Steckdose zu bekommen und im Supermarkt einkaufen zu können.

Wie konnte es so weit kommen?

Bergmann: Wir setzen uns immer weniger mit der Natur auseinander und fühlen uns somit unsicher in ihr. Wenn wir essbare Wildpflanzen vor der Tür stehen haben, erkennen wir sie oft nicht oder sie sind zu verschmutzt, um sie zu essen. Dazu kommen Naturkatastrophen und Verbote, die natürliche Aufenthalte einschränken. Beides vermittelt Ängste. Sie sagen: Der Wald kann heilen. Was dürfen wir darunter verstehen?

Bergmann: Wir sind ein Teil der Natur. Verbundenheit und Wachstum sind Grundbedürfnisse der Menschen. Ein „Da-rin“ sein in der Natur, sich zugehörig fühlen — das ist ein wesentlicher heilender Aspekt. Wir Menschen gehen in Resonanz mit Naturräumen, mit Elementen und Tieren. Die Farben, Gerüche und Geräusche in der Natur haben eine ganz besondere, heilende Wirkung auf uns. Heil sein, bedeutet „ganz sein“. Die Begegnung mit der Natur löst kollektiv ähnliche Reaktionen aus, wie beispielsweise das Wandern auf einen Gipfel oder die Stille, die in der Gemeinschaft am knisternden Lagerfeuer alle gleichermaßen berührt. Wie kann man sich für solche Erfahrungen öffnen? Genügt es, einfach in die Natur zu gehen oder muss man sich besonders darauf einstellen?

Bergmann: Die Natur wirkt immer — bewusst oder unbewusst. Wenn ich achtsam unterwegs bin, mich von einem Platz finden lasse, oder ich finde den Platz, dann kann ich viel über meine Situation erfahren. Auch die Lösung eines Problems ist immer vorhanden. Vielleicht nicht sofort sichtbar — sie möchte auch entdeckt werden. Um ein Thema zu bearbeiten, würde ich jedoch einen Naturtherapeuten oder Naturcoach empfehlen. Naturgestützte Achtsamkeit ist eine therapeutische Methode, die mit zunehmenden Erfolgen von sich Reden macht. Ein Trend, oder eine nachhaltige Alternative zu herkömmlichen Therapieformen?

Bergmann: Es ist nichts Neues. Es ist vielleicht sogar die älteste Therapieform, die in Vergessenheit geraten ist. Erlebnisse in der Natur sind ganzheitlich und intensiv.