Die Natur holt sich alles zurück

Hinter der Fundstelle des Neandertalers verbirgt sich ein Steinbruch, dessen Pforten nur selten geöffnet werden. 70 Neugierige riskierten einen Blick.

Foto: Stephan Köhlen

Mettmann. Die Schritte federn weich auf einer dichten Moos-Schicht. Neben uns ragt senkrecht eine schwarzdunkle Kalkwand empor und reflektiert die Hitze der Sommersonne. Im Flirren des Nachmittags springt für einen Moment die Fantasie...

... und wir sind 70 Neandertaler. Genau hier würden wir Rast machen: geschützt vor verfeindeten Horden und wilden Raubtieren, auf Armlänge an Sträuchern mit Beeren. Nur das Rumpeln der S 28 stört das Gedankenspiel empfindlich. Also hören wir wieder dem einzigen Mann zu, der den Schlüssel zu diesem, seit einem Vierteljahrhundert verschlossenen Areal hat.

Helmut Neunzig, Besucher

Der Biologe Klaus Adolphy, Leiter der Unteren Naturschutzbehörde Mettmann, war erstaunt über das große Interesse an dieser Führung durch den fünf Hektar großen Fraunhofer Steinbruch. Mit 15, vielleicht 20 Personen hatte er gerechnet; nun folgen ihm an die 70 Neugierige durch das Edelstahltor hinter der Neandertaler-Fundstelle.

Sie finden keine unberührte Natur. Hier war unter anderem mal ein Schrottplatz, erzählt Adolphy. Und der Besitzer hieß auch noch Adolphi — beinahe wie er selbst, nur mit einem „i“ hinten. Mehr als einmal versuchte ein Automobilist, einen gebrauchten Kotflügel beim Biologen zu bekommen.

Da war er an der falschen Adresse. Der naturverbundene Adolphy erzählt stattdessen, wie Gärtner das üppige Wachsen und Wuchern so beschneiden, dass Moose und Farne und Birken nicht vollständig von aggressiven Bodendeckern gemeuchelt, von stacheligen Gebüsch überwuchert und von großen Bäumen in einen todbringenden Schatten gestellt werden. „Sobald ein solcher Steinbruch einmal aufgegeben wurde, holt ihn sich die Natur mit aller Macht zurück“, sagt Adolphy. Und stolpert beinahe über einen verwitterten Trinknapf, den hier einer der am Naturschutz-Habitat Arbeitender offenbar für seinen Hund hingestellt hat.

Ein Teil des Steinbruchs gehörte einst der Universität Düsseldorf. Physiker sprengten hier mit einem Knall neue Werkstoffe in die Luft - lautstarke Materialtests, deren Betonplatten noch zu sehen sind; ebenso wie ein kleiner Schutzbunker. Nach der zerstörerischen Wissenschaft kamen die Beobachter aus der biologischen Abteilung der Universität und bestimmten Pflanzen und Tiere. Die Motive der heute durch den ehemaligen Steinbruch laufenden sind ähnlich bunt. Ein Mann erzählt von einer Kalkhöhle, in der er einst als Kind gespielt hat. Helmut Neunzig von den Naturfreunden Gerresheim sagt: „Ich will hier schon seit 20 Jahren mal hineinschauen.“

Biologin Barbara Thomas hat sich ein Fernglas und einen Ultraschall-Detektor mitgebracht. Im Gegensatz zu vielen anderen in der Gruppe ist sie nicht gut gelaunt. „Ich bin entsetzt, wie wenig Tagfalter hier zu sehen sind“, sagt die Fachfrau leise und schüttelt den Kopf. Das große Insektensterben macht auch vor diesem Naturschutzgebiet nicht halt. „Ich bin traurig darüber, dass vor allem die Jüngeren diese Alarmzeichen nicht sehen, vielleicht auch gar nicht sehen wollen.“

Derweil entzündet sich ein Streitgespräch über eine rot schimmernde Flechte. „Das sind Grünalgen“, sagt eine Teilnehmerin. Adolphy tippt auf „Landkartenflechten“; der Farbe und Zeichnung nach könnte es auch die „zierliche Gelbflechte“ sein. Vertreter dieser Art waren schon ein Jahr lang auf der Weltraumstation ISS — und haben überlebt.