Frau Torun, heißt das, die Kreisbewohner mutieren zu Stubenhockern?
Kreis Mettmann „Vernünftige Bezahlung motiviert“
Die Fragen stellte · Interview Die Chefin der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten im Kreis kritisiert die Arbeitszeiten und die schlechte Bezahlung und in der Gastronomie.
Jeder neunte Gastronomiebetrieb im Kreis musste zwischen 2010 und 2017 schließen. Zayde Torun erklärt die Hintergründe.
Zayde Torun: Im Zeitalter der digitalen Welt schauen viele Menschen Kinofilme über Netflix und Co. gemütlich zu Hause, gehen weniger aus oder bestellen mit ihren Smartphones das Essen ins Wohnzimmer. Die Gäste werden in der Tat bequemer.
Spielt das Rauchverbot auch eine Rolle?
Torun: Absolut. Die Einführung des strengen Nichtrauchergesetzes in NRW hat zu einem Einbruch geführt. Das Rauchen in Kneipen ausnahmslos zu verbieten, hat die Kneipenlandschaft aufs Spiel gesetzt. Zur Eckkneipe gehörten das Bier und die Frikadelle genauso wie die Zigarette. Wir sprechen uns dafür aus, Gästen die Wahlfreiheit zu lassen, ob sie eine Raucher- oder Nichtraucherkneipe besuchen. Das absolute Rauchverbot in Kneipen, Restaurants und bei Volksfesten seit 2013 hält Menschen ab, die Eckkneipe zu besuchen.
Das fehlende Interesse am Job hinter der Theke oder als Kellner führt auch zum Kneipensterben, oder?
Torun: Natürlich sind die harten Arbeitsbedingungen in der Branche verantwortlich, dass sie mit einem Fachkräftemangel zu kämpfen hat. Ein Mittel gegen das Gastro-Sterben ist es, Löhne und Arbeitsbedingungen attraktiver zu gestalten. Mit einem Tarifvertrag, der NRW-weit für alle Restaurants und Gaststätten gilt, hat man einen wichtigen Schritt gemacht. Allerdings müssen sich viel mehr Gastronomen daran halten. Außerdem sollten sich Wirte besser gegen Pleiten absichern. Dazu gehört betriebswirtschaftliches Know-how.
Und dann klappt alles
besser?
Torun: Nun ja, die Verbraucher sind auch in der Verantwortung. Statt das Feierabendbier zu Hause zu trinken, kann man einfach mal wieder in die Kneipe gehen. Das macht Spaß und ist geselliger.
Früher gab es das geflügelte Wort: Wer nichts wird, wird Wirt. Gilt das heute noch?
Torun: Die Branche hat wirklich ein waschechtes Image-Problem. Überall im Hotel- und Gaststättengewerbe fehlt qualifiziertes Personal. Ein Hauptgrund: immer extremere Arbeitszeiten. Zwar gehört das Arbeiten am Abend oder am Sonntag für Hotelfachleute und Kellner fest zum Job, aber in den vergangenen Jahren sind die Schichten deutlich länger und die Erholungszeiten kürzer geworden.
Das dürfte beim Gastronomie-Nachwuchs aber nicht gut ankommen?
Torun: Für Schulabgänger ist ein Studium eh oft beliebter als eine Ausbildung. Oder die jungen Leute ziehen Berufe in der Industrie vor. In den Ausbildungsberufen Koch-, Hotel-, Restaurantfachleute, Fachkraft im Gastgewerbe oder in der Systemgastronomie gibt es zudem große Qualitätsmängel bei der Ausbildung. Die Azubis müssen nach der Berufsschule oft noch ganze Schichten arbeiten, sollen Rufbereitschaft haben, ständig für den Arbeitgeber erreichbar sein. Die Überstunden werden nicht erfasst. Ein Umdenken muss stattfinden. Azubis sind keine billigen Arbeitskräfte. Sie verdienen eine gute Ausbildung mit gerechter Vergütung und Wertschätzung. Viele junge Leute haben Angst, sich zu wehren. Dies nutzen einige Arbeitgeber aus. Die Folge: Krankmeldungen oder Abbruch der Ausbildung. Statt längere Arbeitszeiten zu fordern, sollten Hoteliers und Gastronomen die Ausbildung und Bezahlung verbessern. Wenn das Personal Spaß an der Arbeit hat, dann kommen auch die Gäste gern wieder.
Es gibt aber auch positive Beispiele im gastronomischen Geschehen. Die Monheimer Altstadt beispielsweise entwickelt sich gerade zum Hotspot?
Torun: Originelle Ideen, wie man eine Gaststätte zum Treffpunkt für junge Leute macht, sind sehr wichtig. Wenn die Arbeitgeber dann auch noch gut mit ihren Beschäftigten umgehen, sie vernünftig bezahlen und würdevoll behandeln, sind auch die Beschäftigten motivierter und produktiver. Zudem merken die Gäste, wenn das Essen von einem gelernten Koch zubereitet worden ist. Sie kommen nur, wenn es ihnen schmeckt. Ein ständiger Wechsel von Personal bringt niemandem etwas. Vielleicht funktioniert das in Monheim gut.
Wie muss die Gastronomie aufgestellt sein, damit alle bei der Stange bleiben?
Torun: Wir wollen, dass die Entgelttarife des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga allgemeinverbindlich sind. Der Gaststättenverband NRW hat sich dagegen entschieden. Das ist ein falsches Signal. An den Manteltarifvertrag, wo Weihnachtsgeld, Urlaubstage, Urlaubsgeld etc. geregelt sind, müssten sich alle Gastronomen halten.
Das heißt also, weiterhin am Limit arbeiten für viel zu wenig Geld?
Torun: Der Stundenlohn beträgt in der untersten Tarifgruppe 9,80 Euro. Bei einer Vollzeitbeschäftigung sind das 1656 Euro brutto. Für gelernte Beschäftigte beträgt das Einstiegstarifentgelt 11,95 Euro pro Stunde. Die Mieten steigen. Wohnen ist für viele Beschäftigte im Gastgewerbe kaum noch bezahlbar. Fast überall geht gut die Hälfte des Nettoeinkommens für die Miete drauf.