Stadt und Mensch Postkartengrüße von anno dazumal

Ratingen. · Tourismuswerbung ist keine Neuerfindung im Neanderland. Das zeigt eine nostalgisch angehauchte Postkartensammlung im Stadtarchiv. Optisch taucht der Betrachter ein in eine andere Welt von Kurzurlaubserinnerungen. Ganz ohne Handyfotos.

Ausflugsziel anno dazumal: die Schützenburg im Schwarzbachtal.

Foto: Achim Blazy (abz)

„Über schattige Waldwege in 20 Minuten zu erreichen vom Bahnhof Hösel aus.“ Ein Text, beinahe wie aus der aktuellen Neanderland-Tourismuswerbung für einen bis heute ganz besonderen Ort. Bloß: Wer der Kurzbeschreibung folgt, landet heute vor dem Kongresszentrum am Krummenweger Kreisel. Für den ist das Stadtarchiv definitiv nicht zuständig. Schon eher für eine Art Routenplanung längst vergangener Zeiten.

Das Restaurant Doerenkamp in der Nähe des Krummenweger Kreisels warb mit bunten Ansichtskarten um seine Gäste.

Foto: Achim Blazy (abz)

Das Material hierzu füllt mehrere Karteikästen mit tausenden, quer einsortierten Klarsichthüllen. Sie gehören alle zur Sammlung Helmut Weidle. „Das Stadtarchiv hat sie als Dauerleihgabe übernommen“, sagt Archivleiterin Erika Münster-Schröer. Viele der kolorierten Lithografien – Vorläufer von Fotoansichten – lassen Rückschlüsse darauf zu, wie Tourismus und Naherholung in Ratingen und in der Region etwa um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert sprunghaft an Bedeutung gewannen.

Naturdenkmal: Diese riesige Eiche stand im Krummenweger Wald.

Foto: Achim Blazy (abz)

Karten zeigen das damalige „Restaurant Doerenkamp“

Stadtarchivarin Erika Münster-Schröer hütet die Dauerleihgabe: Die Sammlung Weidle enthält tausende historische Postkarten mit Ratinger Motiven.

Foto: Achim Blazy (abz)

Am heutigen Krummenweger Kreisel hatte man das früh erkannt. Das dortige „Restaurant Doerenkamp“ warb bereits im Jahr 1915 mit einer Karte, die indirekt das reine Luxusversprechen machte: Vor den Toren der Gartenwirtschaft zeigt die Abbildung eine stattliche Zahl schwarzer Autokarossen – „für die damalige Zeit so schon sehr ungewöhnlich“, kommentiert Münster-Schröer. Gleiche Restauration, zweites Motiv: Unter schattigen Bäumen im Doerrenkamp-Garten sitzen Damen in bestbürgerlichem Sonntagsstaat, Riesenhüte inklusive.

„Um die Jahrhundertwende stiegt der Bedarf an Sommerfrische und Kurzurlaub in der Region sprunghaft an, auch als Folge wachsenden Wohlstandes durch die zunehmende Industrialisierung“, sagt die Archivarin.

Viele der Karten aus der Sammlung stammen aus den Jahren des Ersten Weltkriegs. Die Bild-Motive dürften damals schon nicht neu gewesen sein. Und es gab auch bereits Ideen zu einer seltsam durchrationalisierten Grußkultur. So zeigt eine Karte eine eher rustikale, bunte Kirmesszene, die beinahe einem Wilhelm-Busch-Bilderbogen entsprungen sein könnte. Sie ist allerdings vergleichsweise unwitzig. Aber lokalisierbar, denn vorn drauf ist gedruckt: „Gruß aus Lintorf“. „Solche Karten wurden in hoher Auflage hergestellt und dann nur um den jeweiligen Ortsnamen ergänzt“, erläutert die Archivarin.

1901 kostete das Porto für eine Postkarte fünf Pfennig

Es gibt allerdings auch ganz andere, weit weniger eindeutige Ansichtsexemplare in der Weidle’schen Sammlung. Auf einer Karte ist eine ausgewachsene Burg zu sehen, eingebettet in eine zartgrün abgetönte Hügellandschaft mit hübschen Teichen. Das Ganze hat auf den ersten Blick etwas von leicht variiertem Mittelrhein-Ansichtskitsch. Aber der Text-Aufdruck rückt dies sogleich zurecht: „Gruß von der Schützenburg Ratingen b. Düsseldorf“ steht zu lesen auf der Karte mit einem Poststempel von 1901, als das Porto fünf Pfennige betrug.

Nicht fehlen dürfen in der Sammlung natürlich Ratinger Motive wie das Haus zum Haus. Und wer auf den schattigen Waldwegen zwischen dem Bahnhof Hösel und dem Gartenrestaurant Doerenkamp unterwegs war, konnte mitten im Krummenweger Wald auch Halt machen an einer Eiche, deren Größe beinahe mit einem Mammutbaum im Yosemite-Nationalpark mithalten konnte. Zumindest erweckt die Postkartensansicht mit mehreren jungen Männern vor dem Baum erfolgreich diesen Eindruck. Und wer gleich in Hösel bleiben wollte, konnte dies in der „Restauration „Zur Station Hösel“ tun. Auch die sorgte für postalische Eigenwerbung.

Und was ist mit den Postkartentexten? Einer bleibt spontan im Gedächtnis haften: „In der Eile eine Zeile.“ Vielleicht deshalb, weil das schon so verflixt modern nach SMS klingt.