Leichtathletik Leichtathletin Silke Schmidt kämpft gegen die Uhr
Mettmann. · Die Mettmanner Läuferin Silke Schmidt feierte nach einer Wettkampfpause ein starkes Comeback. Die 60-Jährige wurde Deutsche Meisterin ihrer Altersklasse und verbesserte gleich vier Weltrekorde.
Ein Unfall Ende 2015 – ein Radfahrer fuhr sie ungebremst von hinten um – brachte Silke Schmidt aus dem Tritt. Die Sportlerin entschloss sich aufgrund der gesundheitlichen Probleme zu einer längeren Auszeit, schnürte erst im Sommer 2018 wieder die Laufschuhe. In diesem Jahr feierte sie ein starkes Comeback auf Wettkampf‑Ebene. Beim Wiedereinstieg auf der Bahn setzte sie am 10. Mai im niederländischen Zwolle mit der Zeit von 18:25,55 Minuten eine neue deutsche Bestleistung in der Altersklasse W 60 und feierte später den Titelgewinn bei der Deutschen Meisterschaft der Senioren in Leinefeld über diese Distanz. Nach ihrem Geburtstag Anfang August verbesserte die 60-Jährige in ihrer Altersklasse die Weltrekorde über die 3000 Meter und 5000 Meter sowie im Zehn-Kilometer-Straßenlauf und im Halbmarathon. Eine Leistung, die der DLV nun mit der Aufstellung für die Sportlerwahl würdigte.
Sandra Pietschmann, Geschäftsführerin von Mettmann-Sport, macht aus ihrer Begeisterung keinen Hehl. „Es ist wunderschön, welche wundervollen Erfolge man erzielen kann, wenn man ein Leben lang Sport macht“, sagt sie und fügt hinzu: „Mit persönlicher Disziplin und Liebe zum Sport kann man Grenzen einreißen. Und es ist richtig toll, wenn so ein Gewächs aus unserem Verein kommt.“
Silke Schmidt, in Wuppertal geboren, zog im Alter von sechs Jahren mit ihren Eltern nach Mettmann. Einige Jahre später stellte ein Lehrer die ersten Weichen für die Leichtathletik-Karriere. „Du hast Talent – geh da mal hin“, sagte er und meinte damit den Sportverein Mettmanner TV, der später mit dem Mettmanner SC zu Mettmann-Sport fusionierte. Als Zwölfjährige begann Silke Schmidt mit dem Sprint. „Später habe ich auch Fünfkampf gemacht. Ich war eine gute Springerin, hatte große Sprungkraft“, erinnert sich Schmidt, 1,64 Meter groß, an die Anfänge zurück. Zugleich erkannte sie in jungen Jahren ihre Grenzen: „Über die 75 und 100 Meter war ich auf Kreisniveau gut, aber später stagnierte es.“ Statt weiter der Leichtathletik zu frönen, probierte Schmidt lieber andere Sportarten wie Tennis, Ballett oder Step Dance aus. „Wenn ich Musik höre, muss ich mich einfach bewegen – das mache ich gerne“, betont sie, stellt aber fest: „Da habe ich weniger Talent.“ Beim Laufen hingegen liefert sie Top-Leistungen.
Silke Schmidt blieb nach der Schule zunächst in Mettmann wohnen, studierte nach dem Abitur 1978 Romanistik und Sportwissenschaft an der Bergischen Universität in Wuppertal auf Lehramt und absolvierte das Referendariat. Zwei Jahre arbeitete sie danach an einer Privatschule, ehe sie ihrem Mann Thomas, der heute als Physik-Professor an der Universität Leiden beschäftigt ist, erst in die Niederlande und später nach Österreich folgte. 1999 ging es zurück nach Leiden.
Die Lehrer-Karriere legte Silke Schmidt schon früh ad acta und fand eine neue Berufung als Literaturübersetzerin – und im Laufen eine gute Möglichkeit, den Kopf frei zu bekommen. „Da habe ich oft die besten Ideen, wenn ich am Schreibtisch an einer Sache festhänge“, erzählt sie. Zugleich betont sie aber: „Das Laufen ist bei mir eindeutig leistungsorientiert, das Training der Weg zum Ziel.“
Was treibt sie an über die 3000-Meter-Distanz bis hin zum Halbmarathon? „Die Belohnung, die es für eine gute Leistung gibt“, sagt sie spontan. „Wenn ich nach den 5000 Metern finishe , bin ich vollkommen fertig, aber ich habe erreicht, was ich mir vorgenommen habe – am Ende kommen die Glücksgefühle.“ Eine Distanz übrigens, die ihr die meiste Willenskraft abfordert. „Ich bin noch nie so kaputt ins Ziel gekommen wie beim 5000-Meter-Lauf“, erzählt Schmidt. Der Grund? „Man muss hohes Tempo laufen über eine relativ lange Strecke, deshalb bleibt es von allen Distanzen die intensivste“, betont die Sportlerin. Weder über die 10 000 Meter noch beim Halbmarathon sei das Tempo so hoch. 2015 war das bislang beste Sportjahr der Mettmannerin auf Seniorenebene. Bei den Masterweltmeisterschaften im französischen Lyon holte sie als W 55-Starterin vier Goldmedaillen über 1500, 5000 und 10 000 Meter sowie beim Halbmarathon, verbuchte zudem 13 Weltrekorde auf sieben verschiedenen Distanzen. Der Lohn folgte auf dem Fuß: Der Europäische Senioren-Leichtathletikverband wählte sie zum European Best Master 2015. Und als Präsident des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF wollte Sebastian Coe (Großbritannien) der Mettmannerin die Auszeichnung als World Best Master 2015 überreichen. „Ich hatte schon das rote Ballkleid gekauft, mein Mann den Smoking“, berichtet Silke Schmidt. Doch eine Woche vor der World Athletics Gala am 28. November 2015 im Fürstentum Monaco platzte der Traum, Gastgeber Fürst Albert II. und seiner Frau Charlène vor 700 geladenen Gästen gegenüber zu stehen.
Der Korruptionsskandal um den ehemaligen IAAF-Präsidenten Lamine Diack (Senegal) brachte die Top-Veranstaltung zu Fall – Sebastian Coe sah sich angesichts immer neuer Enthüllungen zur Absage gezwungen. Das rote Ballkleid besitzt Silke Schmidt noch heute. „Es hängt ungetragen im Schrank – wenn ich es sehe, wird mir immer weh ums Herz“, sagt sie. Die damalige Aufdeckung des Doping-Skandals war und ist ganz in ihrem Sinne, gleichwohl bekennt sie: „Es ist so traurig: Ich bin ungedopt, und ausgerechnet dieser Skandal verhindert meine Auszeichnung. Das ist schon etwas ungerecht.“ Noch einmal wird Silke Schmidt die Fahrkarte nach Monaco wohl nicht lösen können. „Es gibt zwar jedes Jahr noch eine Ehrung im kleinen Rahmen, aber die Master-Ehrung, die bis 2016 stattgefunden hat, wurde ausgeschlossen.“ Vielleicht klappt es dafür in diesem Jahr – mit Unterstützung der hiesigen Sportfans – zumindest mit der Ehrung zur Deutschen Senioren-Sportlerin 2019.