Der Dom aus neuen Perspektiven
Besinnliche Texte und Detailfotos erschließen das symbolträchtige Bauwerk.
Neviges. Wo sich in traditionellen Gotteshäusern der Hochaltar mit kunstvollem Altarbild oder reichem Figurenschmuck erhebt, befindet sich in der Wallfahrtskirche nur eine riesige, graue, nackte Wand aus Beton — glatt, unnahbar, schweigend und leer. „Eine Provokation für jeden Gläubigen in einem katholischen Gotteshaus“, findet Gerhard Haun und fragt: „Was macht diese Wand mit dem gläubigen Beter, dem Gott suchenden Wallfahrer?“ Sie lenkt ihn nicht ab vom Gebet durch Bildeindrücke, zerstreut ihn nicht beim Gespräch mit dem Herrn durch die Schönheit der Kunst. „Das ist keine Leere, das ist Stille! Und in der Stille ist Gott“, zitiert Gerhard Haun den Religionsphilosophen Romano Guardini in dem neuen Buch „Mariendom Neviges“.
Gerhard Haun, Buchautor
„Das ist kein zweiter Kirchenführer“, stellt der Kenner des letzten christlichen sakralen Großbaus des 20. Jahrhunderts fest. „Ich möchte dem Leser besondere Objekte vorstellen, wie die Kanzel, den Altar oder die Sakramentenstele. Es kann dabei durchaus ein bisschen meditativ zugehen.“ Beim Verfassen der besinnlichen Texte ließ sich der ehemalige Studiendirektor des Geschwister-Scholl-Gymnasiums nicht nur durch den Raum inspirieren, sondern auch durch die Musik: „Einen Text habe ich während eines Orgelkonzertes im Rahmen der Reihe Kathedralklänge geschrieben“, verrät der Experte für die Wallfahrtsgeschichte, der mit dem Fotografen Rüdiger Schleßelmann durch die Kirche ging, bevor dieser seine Aufnahmen machte. Keine leichte Sache für den Werbefotografen. „Diese Bauskulptur stellt für jeden eine Herausforderung durch die vielfältigen Kontraste dar: Düsternis und Licht, Grautöne und Farbspektakel, Beton brut und Filigranität, vielschichtige Symbolik, sowie ungewöhnliche Details, die je nach Lichteinfall zu verschiedenen Tages- und Jahreszeiten unterschiedlich stark hervortreten. Setzt man sich damit auseinander, wird man sich automatisch auch mit sich selbst beschäftigen dürfen“, so das Resümee des Lichtbildners nach der intensiven Beschäftigung mit der Architektur des Kölner Baumeisters Gottfried Böhm.
„Es gibt viele spektakuläre Fenster. Was mich am meisten interessiert hat, war das Schlangenfenster, das ist besonders spannend. Man sieht zunächst nur grün, wenn man sich näher damit beschäftigt, erkennt man die Lichtverstärker und die Fußabdrücke.“ Ein großes Problem stellt die Farbe rot dar, nicht nur beim großen Rosenfenster. Eine Feststellung, die viele Fotografen gemacht haben: Das Rot tendiert immer in Richtung Orange. „Rot ist immer schwer rüber zu bringen“, weiß der Werbefachmann und zitiert einen bekannten Spruch der Branche „Rot ist des Druckers Tod.“ Offensichtlich ist das eine Eigenschaft der digitalen Bildaufzeichnung. „Die Farben am Rosenfenster waren beim Diafilm näher am Original, aber dieses Material bekommt man heute kaum noch entwickelt.“