Eine Nevigeser Institution tritt ab

53 Jahre lang war Elisabeth Engelhardt für ihre Kunden viel mehr als nur die Bedienung im Schreibwarengeschäft. Mit 85 Jahren ist sie jetzt wirklich im Ruhestand angekommen.

Foto: Ulrich Bangert

Neviges. Es war ein langer Abschied auf Raten. 2008 musste Elisabeth Engelhardt aus gesundheitlichen Gründen kürzer treten. Doch zwei Jahre darauf stand sie wieder hinter der Ladentheke, erst stunden- und später tageweise. Dann sollte eigentlich im vergangenen Mai endgültig Schluss sein. Aber so lange noch reichlich Stifte, Füller, Schulhefte, Karten und Geschenkpapier in den Regalen lagen, ging der Ausverkauf weiter. Und das Loslassen vom urigen Schreibwarengeschäft an der Wilhelmstraße 11 fällt der vitalen 85-Jährigen auch knapp zwei Wochen nach ihrem wirklich letzten Verkaufstag weiter schwer — schließlich bildete es 53 Jahre nicht nur ihren Lebensmittelpunkt, sondern war für viele Nevigeser auch eine Art Kummerkasten.

„Der liebe Gott hat mir überwiegend nette Kunden geschickt. Und ich bin ihnen stets offenherzig begegnet. Da war ich schnell auch für die Seelenmassage gefragt“, erklärt Elisabeth Engelhardt. Ob Probleme der Kinder in der Schule, Krach in der Familie oder Trauerfälle — vieles wurde der Geschäftsfrau mit der freundlich-verbindlichen Art anvertraut. Und die wahrte die gebotene Diskretion. „Der Engel von Neviges“ sei sie öfter genannt worden. Da wundert es nicht, dass die meisten Kunden in den vergangenen Wochen nicht zu ihr kamen, um ein Schnäppchen zu machen, sondern auch, um etwas zu geben. „Der letzte Tag ging mir besonders nahe. Sie haben mir Blumen geschenkt und wollten mich alle noch einmal drücken“, berichtet Engelhardt.

Die Gabe zuhören und auf Menschen zugehen zu können habe auch ihr ebenfalls aus Oberfranken stammender Ehemann stets an ihr geschätzt. Der 2001 im Alter von 72 Jahren verstorbene Ludwig Engelhardt hatte das Geschäft mit zugehöriger Druckerei zum 1. Juli 1963 von Ludwig Syring zunächst für fünf Jahre gepachtet und danach übernommen. „Er hatte zuvor als Schriftsetzermeister in Vreden an der niederländischen Grenze gearbeitet und war durch die Anzeige in einem Fachblatt auf den Betrieb in Neviges aufmerksam geworden“, erinnert sich Elisabeth Engelhardt. 25 000 Mark habe die Familie in den Umbau und die Modernisierung der Druckmaschinen investiert.

Und die gute Qualität der Druckerzeugnisse sprach sich offenbar schnell herum. Die Franziskaner gaben bald regelmäßig das Wallfahrtsprogramm und Ansichtskarten in Auftrag. Der offene Flur zwischen Schreibwarengeschäft- und Druckereieingang wurde zur Nevigeser Pinnwand. „Alle Vereine haben ihre Mitteilungen bei uns ausgehängt. Wann was los war im Dorf, war hier schnell in Erfahrung zu bringen“, sagt Herbert Engelhardt-Hain (65), der die Geschäftsführung 2008 von seiner Mutter übernahm und an der Wilhelmstraße mit seinen Geschwistern aufgewachsen ist. Von da ab seien es bis zur Vorverkaufsstelle für Kulturveranstaltungen und zur Herausgabe eines eigenen Anzeigenblattes im Jahr 1970 nur noch kurze Schritte gewesen. Letzteren, mittlerweile eingestellten Geschäftszweig betreute bis zu seinem frühen Tod im Dezember 1999 Herberts jüngerer Bruder Rudi. 14 Lehrlinge wurden zum Drucker, Setzer oder Bürokaufmann ausgebildet.

Gerne erinnert sich Elisabeth Engelhardt an die „schöne Zeit“, als sie mit Schwiegertochter Daniela die Pennäler des Wallfahrtsortes für den Schulalltag ausrüstete. Auch mit Schulranzen, von denen bis zu 25 verschiedene Modelle zum Sortiment gehörten. „Die Beratung war für uns immer das A und O“, sagt sie. Das Wissen der Engelhardts dazu, welcher Tornister für welches Kind geeignet ist, blieb auch in Zeiten des Online-Handels gefragt. Allerdings mit der unschönen Folge, dass Eltern ihren Spross Exemplare an der Wilhelmstraße ausprobieren ließen, um sie anschließend doch übers Netz zu kaufen.