Jochen Busse gibt Wohnungslosen eine Stimme
Ungeschönte Wahrheit: In der Christuskirche beeindruckt die „Velberter Winterreise“.
Velbert. „Zuhause war immer da, wo ich nicht war.“ Die Christuskirche war hell erleuchtet, doch die Erzählungen, die Schauspieler Jochen Busse rezitierte, waren düster. Sie offenbarten die ungeschönte Wahrheit sozial ausgegrenzter und wohnungsloser Menschen aus Velbert: Geschlagen. Abgehauen. Drogen. Schulden. Prostitution. Selbstmordgedanken.
Die „Velberter Winterreise“ ist ein Benefizprojekt, das die Erlebnisse, Wünsche und Verzweiflungen Obdachloser mit dem Liederzyklus von Franz Schubert verbindet. Veranstaltet von der Diakonie Niederberg und unter der Regie des Frankfurter Journalisten Stefan Weiller erlebten die Zuhörer am Samstag ein zweistündiges Wechselspiel, das in jeder Hinsicht einzigartig war. Weiller hatte im Vorfeld Interviews mit Menschen zwischen 20 und 60 Jahren geführt, die durch die Diakonie betreut werden.
„Wenn diese Menschen nicht den Mut gehabt hätten, uns ihre Geschichten zu erzählen, wären wir heute nicht hier“, betonte Renate Zanjani vom Diakonischen Werk.
Schuberts Lieder, die von Einsamkeit und Heimatlosigkeit erzählen, korrespondierten fließend mit den Berichten, die häufig von Resignation geprägt waren. So bewiesen 200 Jahre alte Verse wie „Mein Herz ist mir erstorben“ oder „Eine Straße muss ich gehen, die noch keiner ging zurück“ eine erstaunliche Aktualität.
Selbst aus dem altbekannten „Lindenbaum“ entwuchs eine Neuinterpretation, wenn sich die Ziellosigkeit der Protagonisten und ihr täglicher Kampf mit dem unbeständigen Leben wie eine Folie über die Verse legten: „Die kalten Winde bliesen / mir grad’ ins Angesicht / der Hut flog mir vom Kopfe / ich wendete mich nicht.“
Die Sänger Christina Schmid (Sopran), Dirk Schneider (Bariton) und Wolfgang Vetter (Tenor) bespielten dabei eindringlich den ganzen Raum, begleitet von Hedayet Djeddikar am Flügel und Christina van Eynern an der Orgel. Es war eine Reise, die traurig machte — und erstaunlicherweise ohne Zuversicht endete: „Es heißt immer: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Das ist falsch. Die Hoffnung ist tot, und ich bin noch da.“
Die Spenden zugunsten der Wohnungslosenhilfe sollen insbesondere den betreuten Wohngemeinschaften für junge Erwachsene zugute kommen, denen Jochen Busse ebenfalls eine Stimme gab: „Ich habe für meine Mutter ein Lied geschrieben. Hip-Hop. Ich gebe den Sorgen einen Beat. Manchmal stelle ich mir vor, wie sie das Lied eines Tages hört, dazu strahlt, mich umarmt und ganz leise sagt: Das hast du gut gemacht. Das wäre eine der schönsten Erinnerungen meines Lebens.“