Nichts ist zufällig, alles hat seinen Sinn

Die Kirche Christ König in Wuppertal ist einer der ungewöhnlichsten sakralen Bauten in der Region. In den Jahren 1958 bis 1960 vereinte Joachim Schürmann Architektur und Glauben in nahezu perfekter Konsequenz.

Foto: Lothar Leuschen

Auf den ersten Blick ist die katholische Kirche Christ König am Westfalenweg in Wuppertal ein imposanter Natursteinbau. Wer nicht weiß, dass sich hinter den nach allen Regeln der römischen Baukunst errichteten Wänden ein sakraler Raum befindet, der wird es ohne eigenes Zutun kaum erfahren. Denn einen Turm sucht der Betrachter an dieser katholischen Kirche vergebens. „Den hat sich die Gemeinde damals gespart“, erklärt Pastor Michael Grütering. „Am Kirchenbau beteiligt sich die Diözese. Am Turm nicht.“ Er hat 13 Jahre lang in diesem wunderschönen Natursteinbau gepredigt. Die Zeit war eine Herausforderung für ihn. Dazu später mehr.

Neue Steine

des Glaubens

Grütering kennt die Architektur-Geschichte des Gebäudes aus dem Effeff. Sie interessiert den Pastor im Ruhestand nicht nur aus ästhetischen Gründen, sondern auch aus theologischen. Als Joachim Schürmann (91) die Kirche in den Jahren 1958 bis 1960 errichtete, folgte er in aller Konsequenz und schnörkellos den Grundbotschaften des katholischen Glaubens: Alles strebt zu Gott. So konstruierte Schürmann den Kubus, der in überhaupt keiner Weise an die barocken Paläste erinnert, in denen Katholiken fast überall in Europa ihre Messen feiern.

Tatsächlich wirkt der Innenraum auf den ersten Blick äußerst nüchtern. Wenn Grütering Besucher durch den Saal führt, begrüßt er sie mit den Worten „Willkommen in der Kfz-Werkstatt.“ Doch der Eindruck verschwindet, sobald der Pastor die architektonischen Finessen beschreibt, mit denen Schürmann Glauben ausdrückte.

Die Architektur beginnt dabei im Grunde bereits auf dem Außengelände von Christ König. Ein etwa drei Meter breiter und mit hellen Steinen gepflasterter Weg führt zum Gebäude, dass auf einem sanften Hügel steht. Der Weg endet am einzigen bunten Fenster der Kirche. Es beschreibt den Weg des Volkes Israel durch das geteilte Rote Meer.

Die Eingänge zur Kirche befinden sich rechts und links. Es sind kupferfarbene Türen mit einer Art Waschbetonrahmen. Im Innenraum führen links und rechts zwei Treppen in den großen Saal. Der leuchtet erstaunlich hell, wobei nicht Fenster das Tageslicht hineinlassen, sondern ein Lichtband, das den rechteckigen Natursteinbau oben umfasst und die leicht wirkende Dachkonstruktion trägt.

An den Wänden unterbrechen einarmige Leuchter die Steinoptik, Eisenkugeln an Schnüren helfen, Teile des Lichtbandes zu öffnen. Einen Kreuzweg scheint es in dieser Kirche nicht zu geben. Doch der Schein trügt.

„Kreuzwege müssen Gemeinden selbst bezahlen, wie die Kirchtürme“, sagt Grütering. Unter anderem auch deshalb hat es bis ins Jahr 2001 gedauert, bis der Wuppertaler Künstler Krzysztof Juretko an die Arbeit gehen konnte. Zuvor war eine Absprache mit dem Architekten erfolgt. Schürmann bestand darauf, dass nichts zusätzlich an die Wände gehängt wird, sie sollten in keiner Weise verdeckt werden. Also arbeitete Juretko den Kreuzweg in den vorhandenen Stein ein, meißelte, zog natürliche Konturen im Stein nach und entwickelte einen ebenso einzigartigen wie ästethischen Kreuzweg mit seinen 14 Stationen. Vor den Türen zur Kirche erinnert ein kleiner Testturm an diese Zeit. Juretko musste zeigen, dass er in der Lage war, mit dem Gemäuer so umzugehen, dass es dem Anspruch des überaus kritischen Architekten genügte.

Trotz der Argusaugen, mit denen Schürmann über sein Werk wachte, hat die Kirche sich in den Jahren nach 1960 verändert. Am Eingang ist deshalb eine kleine Kapelle mit Marienikone entstanden, weil der Kirchenchor oben im Saal eine Bühne benötigte. Durch die zusätzliche Fläche oben entstand unten an den Eingängen ein neuer Raum. Das 2. Vatikanische Konzil (1962 - 1965) führte schließlich dazu, dass in den katholischen Kirchen plötzlich nicht mehr zum Altar an der Wand, sondern zu den Gläubigen gesprochen wurde. Latein verschwand weitgehend aus den Messen und wurde im deutschen Sprachraum durch Deutsch ersetzt. In diese Zeit fällt, dass der Altar, der Tisch des Brotes, und der Ambo, der Tisch des Wortes, in den Raum gerückt wurden. Um einen Fixpunkt für das Auge zu schaffen, wurde ein Kreuz über den Altar gehängt, auf dem Stationen des Leidensweges Christi stilisiert sind.

Der ursprüngliche Ambo bestand wie heute noch die Hocker um den Altar aus Plexiglas. Auch hier galt: Nichts sollte die Sicht auf die Wände verstellen. Aus diesem Grund gibt es im gesamten Raum auch nur eine einzige Heiligenfigur, das Christ König Kind.

Für den jeweiligen Prediger war und ist die Kirche Christ König eine fortwährende Prüfung. „Hier müssen Sie etwas zu sagen haben“, sagt Pastor Grütering. Denn im Raum sei im Grunde nichts, was den Gläubigen vom gesprochenen Wort ablenke. Auch, um das zu erreichen, habe der Architekt das Lichtband oben eingezogen und von Fenstern abgesehen. „Ich habe mich auf jede Predigt sehr gut vorbereitet“, erzählt Grütering mit einem leichten Schmunzeln.

Wie sehr das Hinaufschreiten, das Hinwenden zu Gott im Bau der Kirche Christ König verinnerlicht ist, zeigt Grütering am Schluss einer jeden Führung. Dann redet er vom Ende des Kreuzweges. „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten“, heißt es bei Lukas, als zwei Männer den toten Leib Christi sehen wollen und die Ruhestätte leer finden. Grütering verlässt die Kirche in diesem Moment durch eine Tür rechts vom Altar und steht mit den Gästen vor einem großen Findling. „Der symbolisiert den Stein, der das Grab Jesu verschlossen hatte.“

Die Kirche der Mittelpunkt der Arbeit von Joachim Schürmann, unterstützt vom Wuppertaler Bauleiter Günther Ständer. Zum denkmalgeschützten Ensemble gehören aber auch das ehemalige Pfarrhaus und das Jugendzentrum. Die Bauwerke stehen allesamt unter Denkmalschutz.