Internet-Blog So wird Neviges ein bisschen berühmt
Norbert Molitor hat nach seinem mit dem Grimme-Preis geehrten Internet-Blog die Alltäglichkeit des Velberter Ortsteils nun in ein Buch verpackt. Eine Art Liebeserklärung in schwarz-weiß mit trocken-ironischen Texten.
Velbert-Neviges. Ein Internetblog, der bereits 658 000 Mal aufgerufen wurde. Bei dem eine Besucherzahl von eineinhalbtausend pro Tag nichts Ungewöhnliches ist. Da muss es um Großes gehen. Geht es aber nicht. Es geht um das ganz Kleine. Um das Leben in einem Ortsteil von Velbert, genauer: um den Wallfahrtsort Neviges.
Norbert Molitor macht jeden Tag ein Foto — immer in schwarz-weiß! — vom Ortsgeschehen und schreibt einen kurzen Kommentar dazu. Angeklickt wird all das von Internetnutzern im australischen Brisbane, in Kalifornien, auf den Balearen. Und ganz besonders natürlich von denen in Neviges und Umgebung.
Nachdem Molitor 2014 den Grimme-Online-Award bekommen hatte, gab es kein Vestecken mehr. Schon seit 2008, so erzählt er in seiner gemütlichen, von Büchern und Schallplatten gesäumten Wohnung in einem Fachwerkhaus, habe er über die Alltäglichkeiten des 19 000-Einwohner-Ortsteils geschrieben. Anonym, noch ohne Impressum. Doch sein Nachbar, ein Kripomann, habe ihn schon länger im Verdacht gehabt: „Gib’s zu, du bist das.“
Mit der Preisverleihung und dem Rummel darum musste der 69-Jährige Farbe bekennen. Praktisch jeder kennt ihn hier, und er wird auf der Straße immer wieder auf sein soeben erschienenes Buch angesprochen, in dem er das lokale Geschehen verarbeitet hat. „Der Titel ,Im Kaff der guten Hoffnung’ ist nicht bei allen gut angekommen“, sagt er. Aber den habe der Verlag gemacht, entschuldigt sich Molitor. Dabei zeigt schon der Untertitel, wie es gemeint ist: „Eine Liebeserklärung an die Provinz“.
Der Verlag hatte angerufen, ihm ein Flugticket nach München geschickt. Und ihn überredet, den Blog mit etwas längeren Geschichten in Buchform zu gießen. „Jeden Tag habe ich etwa eine Seite geschrieben, und die haben mir da auch nicht reingeredet“, sagt er zufrieden. Auch sein Wunsch, kein Semikolon („sieht typografisch unmöglich aus“) zu verwenden, wurde berücksichtigt.
Allen, die Neviges nicht kennen, erklärt der Kettenraucher in seiner trocken-ironischen Art, wie man hier Fuß fasst. Oder auch nicht: „Wer neu dazukommt, braucht Jahrzehnte fürs Klarkommen. Wer wegzieht, sehnt sich jahrzehntelang zurück, kann aber nicht sagen, warum. Wer dazukommt, hat für alle Zeiten einen nicht unerheblichen Migrationshintergrund. Was hilft, ist ein Ehrenamt oder Spenden oder beides. Oder Lokalrunden, oder ein Hund. Kinder gehen auch, machen allerdings viel Arbeit, und wenn sie groß sind, sind sie weg.“
„Der Ort wird schlecht vermarktet“, kritisiert Molitor, der seinerseits täglich etwas dafür tut, das zu ändern. Natürlich auch mit Kritik an der Obrigkeit, wenn mal der Müll liegenbleibt oder der städtische Rasen nicht gemäht wird. Und er schreibt: „Seit das Kaff keine eigene Polente mehr hat, (die Polizeistation wurde an einen Investor verkauft), haben die Mitarbeiter des Ordnungsamtes das Sagen. Sie fahren Streife in der Fußgängerzone: Pizza holen.“
Molitor schwärmt vom architektonisch sehr besonderen Mariendom genauso wie vom örtlichen Kaufhaus, in dem Sonderangebote nicht „Sale“, sondern Sonderangebote heißen. Wo es vom Bügelbrett bis zum Waschlappen alles gibt. „Billiger als in Düsseldorf“.
Ja, es gebe Menschen, die ihn auffordern, ein bestimmtes Thema aufzugreifen. „Aber ich bin nicht der Aufpasser, und ich kann es auch nicht jedem Recht machen“, sagt er. Ob er mit seinem Blog schon mal was bewegt habe? Damit will er sich nicht brüsten. Auch konnte er nicht verhindern, dass ein beliebter Brunnen umgestaltet wird und bald da „irgendwelche Fontänen hinkommen“.
„Ich will unterhalten“, sagt Molitor. Und das macht er köstlich. Wie zum Beispiel in dem Kapitel über den örtlichen Philosophie-Club, den er (selbst Mitglied) ironisch auf die Schippe nimmt. Auch in seinem Blog macht er die Menschen so neugierig, dass sie von weit her kommen, um sich den Ortsteil live anzusehen, von dem sie doch schon so viel aus dem Internet wissen. „Ende letzten Jahres rief mich eine mir bis dahin unbekannte Kölnerin an, ob sie Silvester in Neviges feiern könne. Es wurde eine lange Party.“
Als Molitor den Reporter aus dem Haus geleitet, kommt uns eine Frau entgegen. Die Frau des „Gurkenkönigs“, wie der Gemüsehändler in dem Buch genannt wird. Sie spricht ihn darauf an, nimmt es ihm aber nicht krumm. „Ich habe den Namen nicht erfunden, und er verkauft doch Gurken“, sagt Molitor trocken. Und: „Ich beleidige niemanden.“ Er fügt noch hinzu, dass er längst nicht alles schreibt, was er über die Menschen erfährt.