Zum Frisieren ins Wohnzimmer
Willi Selzener machte sich 1939 als Friseur im Elternhaus in Schlupkothen selbstständig. Bis heute arbeitet seine Tochter Adelheid Heiden im Geschäft, das inzwischen von Enkelin Christiane Heiden-Röhrig geführt wird.
Wülfrath. Kein Platz zum Rasieren? Kein Problem bei den Selzeners. Damit Sohn Willi nach der Friseurlehre nicht arbeitslos wurde, schoben die Eltern mal eben im Wohnzimmer die Möbel zur Seite. Die Couch hierhin, den Sessel dorthin — und irgendwo mittendrin stand dann der Frisiertisch. Stuhl, Waschbecken und Spiegel: Mehr brauchte man damals nicht, um die vorwiegend männliche Kundschaft zu bedienen. Haare wurden natürlich auch geschnitten. Der Bart allerdings musste unbedingt ab. Und wer genug Geld hatte, kam täglich zum Rasieren. Fortan herrschte im Wohnzimmer-Frisiersalon von Willi Selzener also ein ständiges Kommen und Gehen.
Adelheid Heiden, Friseurmeisterin, erinnert sich an ihre Kindheit
Einer nach dem anderen saß in der guten Stube und daneben die Eltern des fleißigen Friseurs, die ihren Sohn nach Kräften unterstützten. Einen Kaffee wird’s bestimmt auch gegeben haben und eine nette Plauderei so ganz nebenbei: Als Friseur war man wohl schon damals derjenige, der sich im Leben der Kundschaft bestens auskennt. Irgendwann wurde es im Wohnzimmer zu eng und die Eltern räumten für ihren Sohn ein komplettes Zimmer leer. Nun gab es also mehr Platz für das Interieur und auch für die Stammkundschaft.
„Jeden Sonntag ging mein Vater dann auch noch zum Gut Comberg, um den Bauern zu rasieren“, erinnert sich Adelheid Heiden (66) an Kindertage, die sie gemeinsam mit vier Geschwistern im väterlichen Friseursalon verbracht hat. Mittlerweile hatte Willi Selzener an der Jahnstraße ein Haus gebaut. Unten wurde frisiert und oben drüber gewohnt: Der Friseursalon war schon damals ein Familienbetrieb, in dem jeder mit anpackte. „Wir haben montags den Laden geputzt, die Handtücher gefaltet oder auch schon mal an der Kasse gestanden“, erinnert sich Adelheid Heiden, die selbst seit mehr als 50 Jahren im Laden steht.
In einem großen Karton hat sie bis heute die Familiengeschichte verwahrt. Der erste Frisierstuhl, der Vater im Salon: Es sind seltene Einblicke in die Geschichte des Friseurhandwerks. Geändert hat sich seither so manches.
Nicht nur, dass sich Männer heute längst zuhause vor dem Spiegel rasieren und das es beim Friseur keine Kondome mehr zu kaufen gibt. Sondern auch, dass nicht nur Frauen, sondern auch Männer viel mehr Wert darauf legen, dass die Frisur richtig sitzt. „Das fängt schon bei den kleinen Jungs an. Da geht doch kaum noch einer ohne Gel in den Haaren in die Schule“, weiß Christiane Heiden-Röhrig. Mit ihr steht nun schon die dritte Generation im Salon an der Jahnstraße — obwohl lange Zeit nicht klar war, dass sie die Familientradition fortführen wird. „Ich bin erstmal Beamtin geworden, quasi aus Boykott“, gesteht die 44-Jährige.
Irgendwann habe sie es sich dann aber doch anders überlegt und ist Friseurmeisterin geworden. Noch immer wohnen alle Generationen unter einem Dach. Die beiden Söhne helfen ebenso wie Mutter Adelheid, während deren Mann den Haushalt stemmt. Wurde früher noch am Heiligabend die eine oder andere Dauerwelle gelegt, gönnt sich die Familie mittlerweile freie Feiertage.
Freitags und samstags herrscht dennoch reichlich Trubel im Salon. Die Stammkundschaft hält den Heidens seit Jahrzehnten die Treue — ebenso wie einige der Mitarbeiterinnen, die genauso lange im Laden stehen. Und eines hat sich bis heute nicht geändert: Als Friseurin erfährt man manchmal noch vor dem Ehemann, dass jemand die Scheidung eingereicht hat, erzählen die Damen und schmunzeln.