125 Jahre Annenhof: Helfen, bevor es zu spät ist
Die Einrichtung für Kinder und Jugendliche wird 125 Jahre alt. In einer Serie stellt die WZ einzelne Bereiche vor.
Kempen. „Der Annenhof ist mehr als nur ein Kinderheim.“ Einrichtungsleiter Herbert Knops bringt es auf den Punkt. Vielseitige pädagogische Konzepte und Angebote wurden in den vergangenen Jahrzehnten an der Oelstraße 9 entwickelt. So ist aus dem Kinderheim, das 1889 von den „Schwestern Unserer Lieben Frau“ gegründet wurde, zu einem modernen Dienstleister bei Erziehungsfragen geworden. Zu den „Kunden“ der Einrichtung mit dem offiziellen Namen „St. Annenhof — Hilfen für Kinder, junge Menschen und Familien“ gehören verschiedene Jugend-ämter der Region.
Zum 125-jährigen Bestehen des Hauses stellt die WZ verschiedene Bereiche des Annenhofes in einer Serie vor. Knops: „Das ist für uns die Gelegenheit, unsere wertvolle Arbeit zu präsentieren und zu erklären.“ Zum Auftakt geht es heute um die „Flexible Ambulante Erziehungshilfe“.
„Wir bieten Möglichkeiten an, Familien so zu unterstützen, dass eine Herausnahme des Kindes nicht notwendig wird“, beschreibt Bereichsleiterin Marita Parnitzke das Ziel der „Flex“. So wird das Angebot in Sonderpädagogik-Kreisen genannt. Auch die sogenannte Rückführung eines Kindes in die Familie nach einem Heimaufenthalt gehört zur Arbeit von Parnitzke und ihrem Team. Oberstes Ziel ist, eine Unterbringung in einem Heim generell zu verhindern.
„Im Mittelpunkt stehen die Begleitung und Betreuung der Familie in ihren Erziehungsaufgaben“, sagt Parnitzke. „Wir unterstützen bei der Bewältigung von Alltagsproblemen und bei der Lösung von Konflikten.“ Den Auftrag bekommen die Annenhof-Mitarbeiter stets vom Jugendamt. Die Behörde wurde entweder selbst in den betroffenen Familien tätig. „Oder die Familien bitten aus eigenem Antrieb um Hilfe“, so Parnitzke.
Dies sei ein erfolgversprechender Weg. „Wenn die Eltern selbst erkennen, dass es nicht mehr funktioniert, ist das ein guter Ansatz“, sagt die Expertin. Für familiäre Probleme müsse sich niemand schämen. Und meist gebe es eine Lösung. „Je früher die Hilfe in Anspruch genommen wird, umso größer sind die Erfolgsaussichten.“
So habe das „Flex“-Team einmal in einem „besonders schweren Fall“ helfen können. „Eine Familie mit zwei Kindern hatte große Schwierigkeiten. Die Eltern hatten Schulden und zudem Paarprobleme“, erklärt Marita Parnitzke. Der Vater sei schwer erkrankt gewesen. Auf Anraten der Familienhilfe sei er in eine eigene Wohnung gezogen. Ein besonders schwerer Schicksalsschlag folgte — vor allem für den vierjährigen Sohn: Der Vater starb an der Krankheit.
„Wir haben uns intensiv um den Jungen gekümmert. Zum Beispiel haben wir die Trauerarbeit übernommen, sind regelmäßig mit dem Kind zum Friedhof gegangen“, beschreibt die Pädagogin. „So konnte sich der Junge verabschieden.“ Inzwischen gehe es der Frau und den Kindern gut. „Durch die Hilfe im Alltag haben wir Lösungswege gefunden.“
Experten der Pädagogik sehen das Konzept der „Flex“ als geeignetes Mittel, um zu helfen, bevor es zu spät ist. „Wenn sich ein Problem immer weiter ins Negative entwickelt“, kann es irgendwann wirklich zu spät sein“, so Parnitzke. Kindern und Jugendlichen würden dann die Perspektiven entzogen. Im Annenhof arbeiten neun Kollegen und Kolleginnen daran, so etwas zu verhindern. Parnitzke: „Unser Team ist mit Eifer bei der Sache.“