Kempen Abitur 1947: Freunde fürs Leben
Vor 70 Jahren haben sechs Herren im zweiten Sonder-Lehrgang nach Kriegsende ihre Reifeprüfung am Thomaeum in Kempen bestanden. Sie treffen sich bis heute regelmäßig in der Thomasstadt.
Kempen. Bevor der minderjährige Helmut Dicks aus Kerken in den 1940er Jahren Flakhelfer wurde, dann zum Reichsarbeitsdienst abkommandiert und schließlich als Soldat eingezogen wurde, war er Thomaeer. Ein Gymnasiast in Kempen.
„Latein habe ich gern gemacht“, sagt er. Englisch dagegen war damals nicht seine Stärke. Als er von einer Klosterschule ans Thomaeum gewechselt war, waren ihm seine Klassenkameraden in dieser Sprache weit voraus gewesen.
Dicks Schulzeit wurde im Zweiten Weltkrieg jäh unterbrochen. Er kam als Soldat in englische Gefangenschaft, musste in Oxford in einem Gaswerk arbeiten. Erst nach dreieinhalb Jahren kam er wieder nach Hause. An den Niederrhein.
1947, damals 21 Jahre alt, saß Dicks plötzlich wieder in Kempen in der Schulbank. Gemeinsam mit den Kempenern Norbert Greven, Erwin Hubbertz und Hans Hardt, mit Helmut Haubrich aus Krefeld, Paul Sieben aus Bochum und knapp 20 weiteren Schülern gehörten sie zum zweiten „Abitur-Sonderlehrgang“ nach Kriegsende.
Vor genau 70 Jahren, nach nur elf Monaten Vorbereitung auf die Reifeprüfung, erhielten die Pennäler vom damaligen Direktor Josef Bast ihr Abiturzeugnis, einen warmen Händedruck und beste Wünsche für die Zukunft. „Es war uns damals gar nicht klar, dass wir damit ins Leben entlassen wurden“, sagt Norbert Greven.
Bei Schwarzwälder Kirschtorte und Kaffee erinnern sich die Männer um die 90 heute in kleiner Runde an diese Zeit. Vor zehn Jahren hatten sie die „60 Jahre nach dem Abi“ noch groß in ihrer alten Schule gefeiert. Diesmal fällt die Runde privater aus. „Das war uns zu spärlich. Wir wollten der Schule keine Arbeit machen“, sagt Dicks.
„Ich war ein Luftwaffenhelfer in kurzen Hosen. Und auch nach dem Krieg hatte ich keine lange Hose“, erinnert sich Helmut Haubrich. Norbert Greven, Erwin Hubbertz und Paul Sieben haben „alle an derselben Kanone, am „Geschütz Dora“, gestanden — mit unter 16 Jahren“.
Schule, Krieg, Krieg, Schule — das sind die Themen, die immer wieder das Gespräch bestimmen. „Das kommt ganz automatisch. Über Enkel reden wir kaum“, sagt einer und fragt spontan nach Familien in die Runde. Es stellt sich heraus, dass Paul Sieben, der am Vormittag mit dem eigenen Auto aus der Nähe von Marburg angereist ist, zehn Enkel hat. Die Zahl hören die anderen zum ersten Mal.
Sie sind sich trotzdem ganz nah. Erwin Hubbertz sagt, warum: „Unsere Kameradschaft klebt zusammen. Da ist Tesa nichts dagegen.“
Feuerzangen-romantisch war ihre Schulzeit nicht, bestätigen die sechs Alt-Thomaeer, „Wir hatten alle diese Reihenfolge: Flakhelfer, Reichsarbeitsdienst, Soldat, Gefangenschaft. Und nach dem Krieg gingen wir in gefärbten Uniformjacken zur Schule“, sagt Norbert Greven, der später Jura studierte und sich als Bauunternehmer selbstständig gemacht hat. Dass sie alle unter diesen Umständen doch noch zum Abitur gekommen sind, erklärt Greven mit „Gottes Hilfe. Darüber sind wir uns immer im Klaren gewesen“.
Die meisten Lehrer hätten sie „mit einer gewissen Strenge, aber väterlich bis zu den Prüfungen“ geführt. Nur zwei ihrer alten Lehrer unterrichteten nach Kriegsende nicht mehr am Thomaeum.
Dicks musste bei seiner Rückkehr als Schüler von seinem Lateinlehrer Kritik einstecken, die bis heute unvergessen ist. Nach einer schlechten Übersetzung eines lateinischen Textes hatte der Mann ausgerufen: „Dicks, der war doch früher nicht so dumm!“
Viel besser ist es im Fach Englisch gelaufen. „Da habe ich meinen Lehrer einmal sogar verbessert, der ein Wort falsch ausgesprochen hatte.“ Der Lehrer nahm es ihm nicht krumm. Im Gegenteil. Er wertschätze seinen Schüler. Danach konnte es passieren, dass der Englischlehrer rief: „Dicks, übernehmen Sie die Klasse!“