„Angriff auf unsere Demokratie“

Der Kempener Wissenschaftler Klaus-Peter Hufer widmet sein neues Buch der „Neuen Rechten“ in Deutschland.

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Kempen. Die in Teilen rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD) ist die größte Oppositionspartei im Bundestag. Rechte Parolen sind im Parlament zu hören; aber auch im Alltag — auf der Straße, im Verein oder in der Kneipe — sind Aussagen à la „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ zu vernehmen. Experten sprechen in diesem Zusammenhang von einer „Neuen Rechten“, deren Denken und Ideologie sich breitmachen. Der Kempener Politikwissenschaftler Klaus-Peter Hufer forscht bereits seit Jahrzehnten zum Rechtspopulismus. Nun ist sein neues Buch erschienen: „Neue Rechte, altes Denken. Ideologie, Kernbegriffe und Vordenker“. Unter anderem darüber sprach Hufer mit der WZ.

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Interview

Herr Hufer, aus dem Phänomen AfD ist inzwischen eine Partei geworden, die in vielen deutschen Parlamenten vertreten ist. Wer oder was steckt hinter dieser Bewegung?

Klaus-Peter Hufer: Die AfD ist in der Tat das Phänomen, das an der Oberfläche sichtbar wird. Hinter dieser Partei und anderen rechten Gruppierungen stecken allerdings tiefgreifende Ideologien und Netzwerke. Dazu gibt es eine erstaunliche Vielzahl von Verlagen von Zeitschriften und Büchern sowie unzählige Internetseiten, die diese rechten Ideologien verbreiten. Ein prominentes Beispiel ist das Magazin „Compact“. Dass es in Deutschland aber eine Neue Rechte gibt, ist nicht neu. Die Neue Rechte zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte Deutschlands. Entsprechende Denkfabriken existieren seit Gründung der Bundesrepublik.

Nun gab es in der Parteienlandschaft auch schon immer Ausläufer aus der rechten Bewegung: Republikaner, DVU, zuletzt die NPD. Was unterscheidet die AfD von diesen Gruppierungen?

Hufer: Nicht nur die AfD, sondern der derzeit vorliegende Geist der Neuen Rechten unterscheidet sich vor allem dadurch von früheren Gruppierungen, dass wir es mit professionellen Strukturen zu tun haben. Während DVU oder NPD überwiegend stumpf und plump daherkamen und ideologisch leicht zu durchschauen waren bzw. sind, sind in der AfD und anderen Gruppen der Neuen Rechten viele hochintelligente und formal exzellent ausgebildete Leute am Werk. Solche Gruppen führen einen Kampf der Begriffe. In diesem stellen sie Begrifflichkeiten wie Heimat, Identität, Nation oder Volk so dar, wie Rechte sie umdefinieren. Die Wurzeln liegen bei ideologischen Vordenkern wie Martin Heidegger, Arnold Gehlen, Carl Schmitt, Konrad Lorenz oder Ernst Jünger. Das Ganze hat also eine intellektuelle Basis. Vor allem deshalb ist es problematisch und gefährlich. Die Neue Rechte greift unsere liberale und plurale Demokratie an. Statt Vielfalt wollen sie Homogenität, statt Liberalität Autoritarismus, statt Offenheit Eindeutigkeit.

War eben diese Gefahr der Anstoß für Ihr neues Buch?

Hufer: Wir erleben mehr Konservativismus und wir erleben eine Welle von Ideen von Rechts. Dahinter stecken Konzepte. Deshalb finden ich, dass es an der Zeit ist, zu fragen: Was passiert hier eigentlich?

Wie versuchen Sie denn, diese Frage im Buch zu beantworten?

Hufer: Zunächst geht es darum, die Ideologie der Neuen Rechten terminologisch und inhaltlich einzuordnen und das sie tragende Netzwerk darzustellen. Und da es um den von mir schon erwähnten Kampf der Begriffe geht, haben wir 25 zentrale rechte Schlüsselwörter, Kern- oder Kampfbegriffe zusammengestellt. Wir bilden die Definitionen der Rechten ab und stellen ihnen demokratische Argumente gegenüber. Damit soll die rechte „Metapolitik“, deren gezielter Kampf um Begriffe und Versuche der Umdefinition durchschaut werden. Und der Leser soll in die Lage versetzt werden, demgegenüber argumentativ gewappnet zu sein. Schließlich werden zehn wesentliche Vordenker der Neuen Rechten vorgestellt und gezeigt, wie deren Theorien in der neurechten Szene aufgegriffen und diskutiert werden. Abschließend machen wir deutlich, dass wir es mit einer Gefahr für die Demokratie zu tun haben und geben Hinweise, woran man das erkennt.

Sie sprechen im Zusammenhang mit dem Buch häufig von „Wir“. Hatten Sie Unterstützung?

Hufer: Ja, und zwar sehr große. Jens Korfkamp, Leiter des VHS-Zweckverbands Rheinberg, und Laura Schuddoma, pädagogische Mitarbeiterin der HVHS G. Koenzgen in Haltern, haben am Buch mitgearbeitet.

Auf lokaler Ebene zeigt sich die Neue Rechte bzw. die AfD durch den Abgeordneten Kay Gottschalk, der im Kreis Viersen auf dem Wahlzettel stand. Er selbst bezeichnete sich in einem WZ-Interview als „politisch rechts und konservativ“ — auf Distanz zur Höcke-AfD. Jüngst fiel Gottschalk aber auch mit einem Boykott-Aufruf türkischer Geschäfte auf. Wie würden Sie den gebürtigen Hamburger einordnen?

Hufer: Mit dem Boykott-Aufruf hat er sich eines Mittels bedient, das in der Neuen Rechten verbreitet ist. Es wird Empörung erzeugt, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Fakt ist, dass Herr Gottschalk einer Partei angehört, die Rechtsextremisten und Rassisten in ihren Reihen duldet. Er selbst hat mir mal gesagt, dass er zum Beispiel mit den Parolen eines Björn Höcke nichts zu tun haben will. Trotzdem duldet er so einen Mann. Das begründete er mir gegenüber damit, dass ein Parteiausschlussverfahren ein schwieriges Unterfangen sei. Zusammengefasst: Die Leute, die in der AfD einen strammen Konservativismus vertreten, sollen das tun. Dieser hat sogar seine Berechtigung in der politischen Landschaft. Die Grenzen zum Rechtsextremismus sind in der AfD aber fließend — und das ist nicht akzeptabel.

Sie sprachen das Empörungs-Aufmerksamkeits-Spiel der AfD an. Wie soll man diesem Spiel begegnen? Das ist eine Frage, die auch unsere Redaktion häufig beschäftigt: Ignorieren oder einordnen?

Hufer: Das Ganze zu ignorieren, ist der falsche Weg. Vor der Bundestagswahl bin ich von einigen Volkshochschulen zum Umgang mit der AfD angefragt worden. Es ging dabei um die Frage, ob die Vertreter der Partei an Podiumsdiskussionen teilnehmen sollen oder nicht. Da habe ich die Meinung vertreten, dass die AfD-Leute eingeladen werden müssen. Man muss sich damit auseinandersetzen und man muss diese Menschen argumentativ entlarven. Dazu muss man sich aber gut vorbereiten. Denn, wie schon erwähnt, die Vertreter der Neuen Rechten sind sehr gut vorbereitet. Man darf ihnen nicht den Gefallen tun, sie in ihrer Lieblinsgrolle als geschmähte Außenseiter zu lassen.

Dann könnte Ihr neues Buch also eine Vorbereitung für solche Begegnungen sein?

Hufer: Es ist immer eine spannende Zeit, wenn so ein Buch erscheint. Ich bin der Überzeugung, dass es uns gelungen ist, dem Leser etwas zu bieten, das er auch anwenden kann.