Wahl Krefelds OB Frank Meyer über die Aussichten seiner Partei bei der Bundestagswahl

Interview | Krefeld · Im Gespräch mit der WZ äußert sich der Krefelder Oberbürgermeister Frank Meyer (SPD) zu den Chancen der SPD bei der Bundestagswahl – und zu „Laschet lacht“.

Frank Meyer im Gespräch mit unserer Zeitung. Der 47-jährige Sozialdemokrat ist seit 2015 Oberbürgermeister in Krefeld.

Foto: Andreas Bischof/Andeas Bischof

Herr Meyer, glauben Sie, dass der „lachende Laschet“ das Blatt bei der Bundestagswahl noch wenden kann?

Frank Meyer: Das war vornehm ausgedrückt ein extrem unglücklicher Auftritt des NRW-Ministerpräsidenten. Wenn der Bundespräsident gerade sehr ernst über Menschen spricht, die Haus und Hof verloren haben, kann man nicht im Hintergrund lachend beisammen stehen.  Aber das ist es ja auch nicht alleine. Wenn ich vergleiche, wie Herr Laschet und Frau Dreyer insgesamt mit dieser Hochwasserkrise umgehen, dann muss ich – ganz unabhängig vom Parteibuch – feststellen, dass die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz sehr viel souveräner agiert und die Menschen mitnimmt.

Wenn wir von Blatt wenden sprechen, meinen wir Annalena Baerbock von den Grünen – oder glauben Sie ernsthaft, dass Olaf Scholz eine Chance hat, Kanzler zu werden?

Meyer: Immerhin sagen viele Umfragen doch, dass eine Mehrheit der Deutschen lieber Olaf Scholz als Kanzler hätte, oder? Warten wir ab, wie sich die Zahlen in den nächsten Wochen entwickeln. Ich sehe im Moment die Situation, dass Herr Laschet sich sehr schwertut, diese Krise gut zu managen, und Herr Scholz sehr unaufgeregt in die Krisenorte fährt und als Bundesfinanzminister ganz nüchtern einen guten Job macht.

Die Konstellation für die SPD ist in der Tat nicht so schlecht: Mit Angela Merkel hört eine angesehene Kanzlerin auf, Olaf Scholz gilt bis ins bürgerliche Lager als wählbarer Nachfolger, politisch ist die wachsende soziale Kluft ein großes Thema – doch die SPD verharrt bei 15 bis 17 Prozent in den Umfragen.

Meyer: Natürlich hat die SPD in den vergangenen Jahren einen erheblichen Vertrauensverlust erlitten, vor allem auf der Bundesebene. Aber auf der anderen Seite gibt es durchaus Wahlen, die die SPD gewinnen kann. Über Malu Dreyer haben wir schon gesprochen, ganz ähnlich lässt es sich ja bei Manuela Schwesig in Mecklenburg-Vorpommern an, vor der ich den größten Respekt habe. Nochmal zu Malu Dreyer: Sie lag im Wahlkampf auch erst lange hinten und hat dann souverän gesiegt. Viele Menschen entscheiden erst kurz vor der Wahl, wo sie ihr Kreuz machen.

Aber besteht nicht die Gefahr, dass auch traditionelle SPD-Wähler aus taktischen Gründen diesmal Grün wählen in der Sorge, dass es letztlich um das Duell Laschet gegen Baerbock geht und ihre Stimme sonst unter den Tisch fallen könnte?

Meyer: Richtig ist, dass viele Menschen gerne taktisch wählen würden, das heißt: Sie wüssten gerne, welche Koalition mit ihrer Stimme am ehesten rauskommt. Doch das ist diesmal unglaublich schwierig vorherzusagen. Viele Wähler wissen gerade nicht, was sie für ihr Votum bekommen. Zugleich bin ich froh, dass die SPD da bereits einige Klarheit geschaffen hat, indem es mit ihr zum Beispiel nicht wieder eine Regierung unter Führung der Union geben wird. Denn das Bündnis mit CDU und CSU ist der Mühlstein, der der SPD und Olaf Scholz als Vizekanzler um den Hals hängt. Auch wenn es richtig war, dass die SPD vor vier Jahren, als Jamaika geplatzt war, das Landes- vor das Parteiinteresse gestellt hat. Und in der Regierung hat sie dann sehr viel soziale Politik durchsetzen können.

Was der Partei aber offenkundig nicht positiv angerechnet wird.

Meyer: Ja, ich hoffe, dass wir unsere Leistungen noch deutlich besser kommuniziert bekommen. Und dass die Wählerinnen und Wähler erkennen, dass Olaf Scholz ein sehr guter Kanzler sein kann.

Welche Koalition im Bund mit der SPD schwebt Ihnen denn vor? Und ist die SPD dann nicht wieder nur Juniorpartner, diesmal der Grünen?

Meyer: Das ist nicht gesagt, ich halte es absolut nicht für unmöglich, dass die SPD noch stärker als die Grünen wird. Der ganz große Hype bei denen scheint gebrochen zu sein. Und wenn ich mir in Erinnerung rufe, was mit Martin Schulz 2017 nach zunächst überragenden Umfragewerten passiert ist, dann scheint es mir nicht völlig abwegig, dass Herr Laschet eine ähnliche Talfahrt erlebt. Bei der Koalitionsfrage schaue ich natürlich hier nach Krefeld: Dass eine Ampel aus SPD, Grünen und FDP einen anständigen Haushalt zusammen hinbekommen hat, hat vorher keiner für möglich gehalten. Das ist eine progressive Konstellation, die auch in Rheinland-Pfalz gut etabliert ist, warum soll sie nicht im Bund ebenfalls funktionieren? Natürlich brauchen wir Fantasie, wenn wir an ein Bündnis mit Herrn Lindner denken – doch das gilt bei ihm umgekehrt genauso.

Darf die SPD noch einmal den Juniorpartner machen?

Meyer: Damit tue ich mich schon schwer. Auf der anderen Seite kann man nicht verantwortungsvoll Politik machen, wenn alle alles erst einmal ausschließen. Ohne Kompromisse geht es nicht. Wir stehen vor großen Herausforderungen, vom Umgang mit rechten Regierungen in der Europäischen Union über den Klimawandel bis zur Coronakrise. Da können wir in Deutschland die Regierungsbildung nicht als Laborversuch betrachten, wir brauchen eine voll handlungsfähige Regierung. Und meine Erwartung an meine Partei ist, dass sie dabei eine konstruktive Rolle spielt.

Ist Ihre Partei an der Spitze denn personell gut aufgestellt?

Meyer: Ich finde jedenfalls, dass Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken etwas für SPD-Verhältnisse fast Unglaubliches geschafft haben: Sie haben Ruhe und Frieden in den Verein bekommen. Früher war die SPD vor allem im Spiel ,Wir gegen uns’ erfolgreich, es gab viel Missgunst und Intrigen, an mancher Stelle galt sogar die berüchtigte Steigerungsformel: Feind, Todfeind, Parteifreund. Heute ist es so, dass alle, die im weitesten Sinne Führungsverantwortung tragen, an einem Strang ziehen. Bemerkenswert fand ich auch, wie souverän das Spitzen-Duo einem anderen, sprich Olaf Scholz, den Weg in die Spitzenkandidatur geebnet hat. Das ist bei den Grünen zwischen Baerbock und Habeck anders gelaufen und das Duell Söder gegen Laschet war sogar das Extrembeispiel, wie man es nicht machen sollte. Hinzu kommt, dass Norbert Walter-Borjans quasi Uerdinger ist, was wollen Sie da bei mir anderes erwarten? Saskia Esken brennt glaubhaft für ihre Themen, sie ist da nicht immer diplomatisch, das darf in ihrer Position aber auch so sein. Und wie gesagt: Wir haben weitere starke Persönlichkeiten, auch und gerade Frauen wie Malu Deyer oder Manuela Schwesig.

Das klingt auch bei Ihnen wie das Pfeifen im dunklen Walde. Die SPD sackt von Wahl zu Wahl tiefer ab, aber die Genossen beschwichtigen, bald werde alles besser. Haben Sie eigentlich gar keine Angst, dass ihre Partei mal ganz geschreddert wird?

Meyer: Die SPD kann nicht zufrieden sein mit den meisten Wahlergebnissen in den letzten Jahren und den aktuellen Umfragen. Das kann niemand ernsthaft schönreden. Aber wir müssen doch jetzt fragen: Was ist aktuell realistisch? Und da wäre es im Bund schon ein Erfolg, wenn wir mehr als 20 Prozent schaffen – auch wenn das nicht langfristig das ist, was man sich wünscht. Vermutlich gibt es eine historische Veränderung in der Parteienlandschaft, wir haben mittlerweile mindestens sechs Parteien, demzufolge sinkt für jede der prozentuale Anteil. Das gilt nicht nur für die SPD.

Welchen Kurs müsste die SPD denn fahren? Die Parteispitze hat einen Linksschwenk versprochen, aber die SPD hat im Bund nur dann gewonnen, wenn Kandidaten der Mitte wie Helmut Schmidt oder Gerhard Schröder angetreten sind.

Meyer: Ich glaube, dass die SPD dann Wahlen gewinnen kann, wenn sie als progressive Volkspartei auftritt. Und wenn sie erkennbar und dauerhaft für eine verantwortungsbewusste Politik steht. Links und rechts sind schwierige Kategorien, weil sie nur für eine grobe Analyse taugen. Die SPD muss das Ganze im Blick haben, dazu gehört eben, keine Klientelpolitik zu machen. Bei der Klimapolitik zum Beispiel müssen wir ohne Abstriche darauf achten, dass sie auch sozial ausgewogen ist. Optimalerweise verbinden Wähler das dann auch noch mit den handelnden Protagonisten in der Partei. Das meint Volkspartei. Und das muss Olaf Scholz hinkriegen.

Ein Teil in der SPD beschäftigt sich aber am liebsten mit dem Schutz von Minderheitenrechten.

Meyer: Das ist kein Gegensatz, der Einsatz für Minderheiten muss integraler Bestandteil der SPD-Politik sein. Man kann sehr wohl energisch für nicht-gleichberechtigte Gruppen in der Gesellschaft eintreten und parallel eine vernünftige Wirtschafts- und Finanzpolitik betreiben.

Schauen wir nach NRW, die Landtagswahl im Mai 2022 ist auch nicht mehr so fern. Die SPD kämpfte lange mit internen Querelen, kann sie ihr altes Stammland zurückerobern?

Meyer: Die getroffene Personal- und Richtungsentscheidung finde ich sehr gut, ich habe mich früh öffentlich für Thomas Kutschaty ausgesprochen. Er tut uns gut. Und das Ziel für die SPD kann nur sein, deutlich über 20 Prozent zu kommen, um einen Führungsanspruch formulieren zu können. Wir sind in den Städten und Kreisen in NRW ja nicht schlecht aufgestellt und es schadet gar nicht, die kommunale Ebene mehr mitzunehmen in der Partei, was Thomas Kutschaty tut. Er war gerade auch in Krefeld und hat sich detailliert über unser geplantes Haus der Bildung informiert. Er bringt viel mit, hat einen ordentlichen Beruf erlernt, verfügt über Regierungserfahrung. Und er kann gut zuhören.

Herr Meyer, Sie haben zwei Mal in einer Stadt die OB-Wahl gewonnen, die wahrlich keine SPD-Hochburg ist. Zudem weiß man auch in Düsseldorf, dass Sie gerne über den lokalen Tellerrand hinausblicken. Sieht man Sie irgendwann in der Landes- oder Bundespolitik?

Meyer: Thematisch habe ich Bundes- und Landespolitik natürlich immer mit im Blick, aber ich bin Oberbürgermeister in Krefeld, bis 2025 gewählt, habe viel Freude an diesem Amt und ich glaube, da gibt es auch noch einiges zu tun. Insofern: Nein, es gibt bei mir keinen Gedanken daran, die politische Ebene zu wechseln.