St. Martin in Kempen: „Wie Karneval für Köln“
Das Fest soll Kulturerbe der Unesco werden. Die WZ hat nachgefragt, was die Bürger — und die Martinsvereine aus der Region — zu dem Vorstoß zweier Niederrheiner sagen.
Kempen. Die Kempenerin Rosi Thissen kommt mit einigen alten Fotos zur „Redaktion vor Ort“ auf den Buttermarkt. Die Bilder zeigen ihren Großvater Jakob Gerhard Plenker hoch zu Ross und in römisch anmutender Uniform: In den 20er Jahren war Plenker der Heilige Martin in Kempen. „Für mich ist das Thema daher auch eine Familienangelegenheit“, sagt Rosi Thissen, Jahrgang 1937. Ihre Kinder kämen jedes Jahr im November zum großen Fest. Sie reisten dafür extra aus Göttingen und Zürich an. Da ist es nicht verwunderlich, dass die Kempenerin für einen Eintrag des Martinsbrauchs ins Kulturerbe ist.
Der Hintergrund: Jeyaratnam Caniceus aus Kempen und René Bongartz aus Brüggen haben die Vision, St. Martin auf die Unesco-Liste setzen zu lassen. Im April 2018 könnte es soweit sein. Da Kempens Martinsumzug zu den größten in NRW gehört, hat sich die WZ gestern Vormittag auf dem Buttermarkt umgehört: Was halten die Bürger von dem Vorstoß? Gefragt wurden zudem die Vorsitzenden der Martinsvereine Vorst, St. Tönis und Alt-Willich/Wekeln.
Bernd Mertens vom Vorster Martinskomitee begrüßt die Idee: „Der Gedanke ist gut und unterstützenswert. Der Martinstag ist gelebte Kultur, daher kann er auch offizielles Kulturerbe der Unesco sein.“ Allerdings glaube er „eher nicht, dass uns diese Aktion mehr Mitglieder oder Spenden bringen wird“. Glücklicherweise sei die Spendenfreudigkeit der Leute seit Jahren ungebrochen groß. Der Verein hat momentan 90 Mitglieder. „Ich hoffe einfach nur, dass dieser Vorstoß sich positiv auf das Fest an sich und das Zusammenwirken der einzelnen Martinsvereine auswirkt“, so Mertens.
Peter Schulte ist Kempener und findet, dass St. Martin schon groß genug gefeiert wird: „Dann muss ich mein Auto noch weiter wegparken. Die Stadt ist an dem Tag sowas von überfüllt. 35 000 Besucher sind mehr als genug.“ Ebenfalls kritisch äußert sich ein weiterer Passant, der seinen Namen nicht nennen will. „Es gibt wichtigere Dinge, die Kulturerbe werden sollten“, so der Kempener, der zudem nach eigener Aussage aufgrund seiner evangelischen Konfession keine Beziehung zu dem Fest hat.
Gisela Friedrich ist Mitglied des St.-Martin-Vereins Kempen und glaubt nicht, dass die Tradition dadurch beeinflusst wird: „Der Rheinische Karneval ist auch Kulturerbe und das interessiert auch keinen“, sagt sie. „Die Traditionen sterben langsam.“ Es liege immer an den Leuten, eine Tradition zu erhalten — und nicht an einem Titel.
Lars Kuhlenschmidt ist neuer Vorsitzender des Martinkomitees St. Tönis und Nachfolger seines Vaters Jürgen Kuhlenschmidt. Er stimmt seinem Kollegen aus Vorst zu: „In unserer Gemeinde ist das Martinsfest ein gutes und gelebtes Brauchtum. Ich hoffe, dass die Aktion die Werbetrommel rührt und die Kinder bald noch mehr Zuschauer beim Laternenumzug haben. Auch wir haben glücklicherweise kein Mitglieder- oder Spendenproblem. Ich hoffe, der Vorschlag wird von der Unesco angenommen“, so Kuhlenschmidt.
Ein 67-jähriger Kempener, der sich seit Jahren als Sammler im örtlichen Martinsverein engagiert, findet den Antrag zum Kulturerbe „super“ und hat die ganze Aktion im Fernsehen mitbekommen: „Ich hoffe, dass durch die Aktion noch mehr Leute von außerhalb nach Kempen kommen.“
Michael Paas begann 1986 als Sammler und ist heute Vorsitzender des Ortsvereins Alt-Willich und Wekeln. Wie auch seine Kollegen, findet er die Aktion lobenswert und hofft auf die Anerkennung der Unesco: „Das ist sehr gut und wichtig für unsere Tradition. Wir sind mit dem Martinsfest auf einem guten Weg und ich hoffe, dass durch solche Aktionen diese Tradition immer weiter fortgeführt wird.“ Die Veranstaltung der Initiatoren in Brüggen-Bracht sei sehr angenehm und interessant gewesen. Caniceus und Bongartz hatten zur Vorbereitung der Bewerbung zur bis dato größten Versammlung von Martinsvereinen und Martinskomitees nach Bracht eingeladen. „Vieles von dem, was dort vorgetragen wurde, wussten wir gar nicht“, so Paas. „Durch den Erfahrungsaustausch mit anderen Ortsvereinen an diesem Abend haben wir viel kennengelernt, was wir für unser Martinsfest anders machen können, um es weiter zu verbessern.“
Ein Fan der Bewerbung ist auch Annemarie Breiltgens. Seit sie sich erinnern kann, hat sie keinen Umzug und kein Feuerwerk verpasst. Heute verfolgt sie das Fest mit ihren Urenkeln, früher waren es die Enkel und davor die Kinder. „Wir stehen immer an der selben Stelle“, sagt sie. „Bei Dr. Kamp vor der Tür.“
Für die St. Töniserin Christel Presch, die gestern auf den Buttermarkt geradelt kam, ist das Martinsfest eine erhaltenswerte Tradition. „Gerade in Kempen ist es ja wie der Karneval für Köln.“