Ehrenmord: Angeklagte sind voll schuldfähig

Vor dem Landgericht in Kleve erläuterte ein Volkskundler die Hintergründe zur Kultur und die Strukturen der Familie.

Kleve. Im Prozess um den mutmaßlichen "Ehrenmord" von Rees sind die Angeklagten voll schuldfähig. Das ist das Ergebnis einer psychiatrischen Untersuchung. Ein Gutachter hatte den Vater des Opfers auf seinen Geisteszustand untersucht. Der Verteidiger hatte vor dem Klever Landgericht von einer Beeinträchtigung des Kurzzeitgedächtnisses seines Mandanten und einer beginnenden Demenz berichtet.

Zuvor bereits hatte ein psychiatrischer Gutachter den angeklagten Bruder des Opfers als voll schuldfähig bezeichnet. Der 20-Jährige und sein Vater (50) sowie ein Bekannter der Familie müssen sich vor dem Landgericht Kleve wegen gemeinschaftlichen Mordes verantworten. Sie sollen die 20 Jahre alte Gülsüm getötet haben, um die Ehre der Familie wiederherzustellen. Laut Anklage musste die Kurdin sterben, weil sie keine Jungfrau mehr war und eine Abtreibung hinter sich hatte.

Vor dem Landgericht in Kleve erläuterte ein Ethnologe zudem den kulturellen Hintergrund und die Strukturen der Familie des Opfers. Er erklärte vor Gericht, dass die Jungfräulichkeit in der aus der türkischen Provinz Mardin stammenden Familie eine hohe Bedeutung habe. In der Heimat der Familie, die vor 15Jahren nach Deutschland gekommen war, herrschen archaisch-patriarchalische Vorstellungen, sagte der Sachverständige. Ehre sichere die Existenz.

Werde die Ehre der Tochter durch Sex vor der Ehe verletzt, sei die gesamte Familie verantwortlich. Das Familienoberhaupt sei zur Wiederherstellung der Ehre verpflichtet. Der Bruder des Opfers hatte nach seiner Festnahme gegenüber der Polizei den Mord an der 20-Jährigen gestanden. Nicht selten würde eine solche Tat auch in Auftrag gegeben, sagte der Volkskundler.

Die stark entstellte Leiche der jungen Frau war Anfang März in Rees entdeckt worden. Der angeklagte Drillingsbruder soll seine Schwester unter einem Vorwand zu einem Feldweg gelockt und sie von hinten mit einem Seil bis zur Bewusstlosigkeit gedrosselt haben. Gemeinsam mit dem ebenfalls angeklagten Bekannten (32) soll er das Gesicht der jungen Frau mit Stöcken zertrümmert haben. Sie starb durch die massiven Schläge auf den Schädel.

Wann das Urteil verkündet wird, ist noch unklar; ursprünglich war dafür der 11. Dezember vorgesehen.