An Opfer erst im Knast gedacht
Die Insassen der Sozialtherapeutischen Abteilung des Anrather Gefängnisses bringen sich Grundregeln des Zusammenlebens bei.
Anrath. Sam wollte nie jemanden verletzen. Bei seinen Banküberfällen kam auch niemand körperlich zu Schaden. Dass er den Anwesenden trotzdem Leid zugefügt hat, kam ihm nicht in den Sinn.
„Darüber habe ich erst in der Haft nachgedacht“, sagt der 40-Jährige, der mehrere Jahre in Anrath hinter Gittern saß und heute beim Anti-Aggressions-Training von gerichtsauffälligen Jugendlichen mitarbeitet. In dem Maße, in dem ihm bewusst wurde, dass in seinem Elternhaus niemand mit ihm gefühlt hat, niemand gefragt hat, wie es ihm geht, wenn man ihn geschlagen oder seelisch verletzt hat, konnte er mit seinen Opfern mitfühlen.
Dieser Prozess wird in der Sozialtherapeutischen Abteilung des Gefängnisses beschleunigt und begleitet. In den deliktorientierten Gruppen werden den Tätern beispielsweise Lehrfilme gezeigt, in denen Opfer zu Wort kommen. Aber das ist nur ein Baustein, um Sexual- und Gewalttäter auf ein straffreies Leben nach der Haft vorzubereiten.
Ein weiterer wichtiger Baustein ist der „Wohngruppenvollzug“. Die Türen zu den Zellen sind tagsüber offen, die Sozialkontrolle untereinander ist enorm. Alles, was man tut, wird von den anderen gesehen und gewertet. „Das geht von „Schmatz’ nicht“, bis zu „Räume Deinen Dreck weg“, berichtet Thomas Jannusch, Psychologe und Leiter der Abteilung. „So bringen sich die Inhaftierten die Grundregeln des Zusammenlebens gegenseitig bei. In den wöchentlichen Wohngruppensitzungen wird alles angesprochen“, berichtet Jannusch. Kommunikation wird hier geübt, Zuhören, Ausreden lassen. Die Inhaftierten sollen lernen, sich in ihrem Alltagsverhalten zu beobachten und mit Gefühlen wie Wut und Enttäuschung vernünftig umzugehen.
Außerdem wird betrachtet, wie es zu der Tat kam. „Gemeinsam wird überlegt, wo falsche Entscheidungen getroffen wurden, wieso es dazu kam und wie man sich hätte richtig entscheiden müssen“, sagt Jannusch. Damit entwickeln sie eine Sensibilität für die eigenen Alarmsignale und können nach Haftentlassung ähnliche Situationen entweder vermeiden oder anders bewältigen. “ Siehe Kasten „Therapie“