Schütze mit Down-Syndrom Traum: Erst Schütze, nun Zugkönig
Willich · Lars Tobias Gorissen hat das Down-Syndrom. 2013 trat er dem ASV Willich bei. Nun trägt er als Zugkönig die Kette des Kanonenzugs 2015.
Das ist Freundschaft. Lars Tobias Gorissen sitzt auf der Terrasse der Wohnstätte „Unser Haus“ in Wekeln und gibt am Tag vor dem Rosendrehen als Zugkönig des Kanonenzugs 2015 ein Interview. Ein paar Meter weiter schrubbt Joshua Liesenberg den Grill. Liesenberg liegt wie vielen Bewohnern des Hauses der Lebenshilfe eine Menge daran, dass das angekündigte Fest am Samstag rundum gelingt. Gäste sollen sich wohlfühlen. Auch wenn „Arbeit“ auf sie zukommt. 600 Rosen für den Hausschmuck zum 134. ASV-Schützenfest müssen gedreht werden.
Anschließend soll gemeinsam im Garten gegessen werden. Dafür muss der Grill tiptop sein. Joshua Liesenberg, unschwer als Borussenfan an grüner Hose und Gladbach-Mütze zu erkennen, schrubbt für den Kumpel. Obwohl dessen Fußballherz für den 1. FC Köln schlägt. Egal! Heute zählt das, was verbindet.
Lars Tobias Gorissen trägt ein schwarzes Hemd, an der Tasche hat er das Wappen seines Zuges angebracht. Die Königskette des Kanonenzugs liegt um seinen Hals. In die 2019-Plakette, die vierte in der Reihe, ist auf der Rückseite sein Name eingraviert. Die Kette wiegt einige hundert Gramm. Aber sie in der Nachmittagshitze abzulegen, kommt für den 38-Jährigen nicht in Frage.
Seine Vorfreude ist offenkundig. Deutlich wie eine Durchsage per Megaphon. Nach dem Eintritt in den Allgemeinen Schützenverein (ASV) Willich ist für ihn der zweite Traum in Erfüllung gegangen: Lars Tobias hat den Vogel von der Stange geholt. Er ist nun Zugkönig. Eine Ehre.
„Ich habe sonst immer alle Vögel im Fallen noch fotografiert. Diesmal ist es mir nicht gelungen“, erzählt Tobias’ Mutter Marlies. „Das war ein zu aufregender Moment.“ Sie kann die Freude, die das Amt in der Gemeinschaft für ihren Sohn mit sich bringt, wohl besonders gut nachvollziehen. 2007 waren sie und ihr Mann in Krefeld Prinzenpaar.
Dass diese Session möglich wurde, ist Lars Tobias und dem Haus zu verdanken – nicht nur, weil der Sohn die Regentschaft mitgetragen und mitgefeiert hat. Er zog auch einen Tag vor seinem 25. Geburtstag ins Haus der Lebenshilfe in Wekeln ein. Umsorgt und trotz geistiger Behinderung so selbstbestimmt, kreativ und gesellig, wie jetzt im Schützenverein.
„Seit 2006 kennen wir uns“, sagt Haus-Leiterin Ester Mand. Sie fühlt sich mit der Wohnstätte mitten in Wekeln sehr wohl. „Die Schützen fördern uns sehr. Diese Ketcars zum Beispiel haben sie angeschafft. Oder geholfen, ein Gartenhaus aufzubauen. Und sie sind oft bei uns zu Gast.“
Ein Geben und Nehmen. Wie bei der Aktion „Ehrenamt rückwärts“ der Wohngruppen. Es ist Tradition, dass die Hausbewohner für die Schützen Rosen für den Eingang zum großen Festzelt drehen.
2013 wollte Lars Tobias nicht nur Gast, sondern Mitwirkender sein. Er sandte damals einen Brief an den ASV. „Ich habe geschrieben, dass ich auch mit anderen feiern und bei den Schützen mitmachen möchte.“ Gehört, gelesen - der Zug „Jut drop“ nahm Lars Tobias gleich auf. Nach der Auflösung der Gruppe 2014 wechselte der 38-Jährige zum Kanonenzug. Bilder, die ihn beim Ziehen einer Kanone während der Parade zeigen, füllen Fotoalben.
„Er ist jetzt einer von 1000 Schützen“, sagt seine Mutter. Sie fühlt sich im Schützenkreis wohl. Ebenso wie Janina Lill, die Lebensgefährtin ihres Sohnes. Beide haben sich in der Wohnstätte kennengelernt. Zum Schützenfest werden sich auch die 20 Bewohner und ihre Betreuer am Festwochenende unter die Zuschauer mischen.
Und, Lars Tobias Gorissen? Wäre es auch ein Traum, einmal der König beim Schützenfest des ASV zu sein? „Nein, Hilfe! Das wäre mir zu viel Trubel“, sagt er. Und dann lacht er so herzlich los wie
seine Frau Janina.