Kommentar Ein Rückschritt der politischen Kultur

Der Tönisvorster Rat tut sich mit der Form seiner Debatten keinen Gefallen.

Kempen, Redatkion WZ, Kommentarfoto Redakteur Alexander Florié-Albrecht

Foto: Lübke, Kurt (kul)

Dass in einer Kommune auch mal heftig über die Zukunft und das Geld gestritten wird, ist im politischen Tagesgeschäft nichts Ungewöhnliches. Dass eine politische Mehrheit kurzfristig per Tischvorlage im Rat ein Vorziehen der Erhöhung der Hebesätze und dabei sogar eine Verdopplung vorsieht, mag politisch-technisch machbar sein, ist aber aus demokratie- und gesellschaftspolitischer Sicht zumindestens diskutabel. Weil der Diskurs über diese Frage im Zusammenhang mit dem Haushalt 2023 weder im politischen noch im öffentlichen Raum im Vorfeld hat stattfinden können. Zwar gab es schon Debatten um eine Anhebung 2024 seitens der Verwaltung. Aber in dieser Form kam der Vorschlag wie Kai aus der Kiste.

Es mag ja sein, dass die Not ob des auf Kante genähten Tönisvorster Haushaltes so groß ist, dass man sich deshalb zu diesem politischen Akt entschloss. Die Reaktion auf Verwaltungsseite ließ darauf schließen, dass ihr der Beschluss durchaus entgegenkommt.

Der anschließende Diskurs über dieses Vorgehen im Rat aber war ein Rückschritt der politischen Kultur. Alte Wäsche zu waschen, sich gegenseitig mit Verbalien zu überziehen wie „Dann halten Sie doch besser den Schnabel“ oder „Raubrittertum“, ist weder vorbildhaft noch trägt es zu einer sachbezogenen Lösung von Problemen bei, die in der Stadt schon ernst genug sind. Dass Bürgermeister Uwe Leuchtenberg diese Debatte minutenlang in dem Stil laufen ließ, war in dem Moment kein Ausweis der souveränen Führung eines Diskurses.

Entscheiden muss eine Mehrheit, darf sie auch. Es ist aber ein Gebot der Klugheit, Entscheidungen transparent zu vermitteln. Ob man sich für den politischen Austausch in der Stadt, der nach der sehr kontroversen Campus-Debatte langsam auf Normalmaß zurückzugehen schien, einen Gefallen getan, darf bezweifelt werden. Es täte allen Tönisvorster Parteien gut, angesichts der Haushaltssituation inne zu halten und sich ehrlich zu machen, wie es die UWT-Fraktionsvorsitzende Heidrun Sorgalla in ihrer nachdenklichen Rede zumindestens versuchte. Und die Opposition muss sich fragen lassen, ob es ausreicht, Zustände zu beklagen, statt selbst Vorschläge zu machen.