Tönisvorst Prozessauftakt gegen den „Prediger ohne Gesicht“

Abu Walaa (33) wohnte in St. Tönis unweit der Streuff-Mühle.

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Tönisvorst. Der mutmaßliche Top-Islamist in Deutschland wohnte in St. Tönis mit seiner Familie in direkter Nachbarschaft zur historischen Streuff-Mühle und zum Seniorenzentrum: Am Dienstag ist in Celle vor dem Oberlandesgericht der Prozess gegen Abu Walaa eröffnet worden — wegen Unterstützung und Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung.

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Der vollbärtige Mann (33), den Nachbarn allerhöchstens vom Sehen kannten („Er sieht aus wie der Nikolaus — nur mit einem schwarzen Bart.“), ist aus Sicht der Bundesanwaltschaft die zentrale Führungsfigur der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Deutschland. Er soll reihenweise junge Männer für die Terrormiliz mobilisiert haben. Allerdings nicht von dem unscheinbaren kleinen Haus an der Gelderner Straße aus, an dem meistens die Rollladen heruntergelassen sind.

Vielmehr soll der Iraker A., der sich selbst Abu Walaa nennt, als Wanderprediger in ganz Deutschland unterwegs gewesen sein. Beim „Deutschen Islamkreis Hildesheim“, der mittlerweile verboten wurde, habe er radikal-islamische Predigten gehalten und die Moschee des Vereins zu einem bundesweiten Rekrutierungszentrum des IS gemacht. So lautet der Vorwurf der Anklage. Als Prediger soll er zudem Islamseminare in Moscheen in Berlin, Kassel, Frankfurt und dem westfälischen Bocholt organisiert haben. Mindestens 15 junge Männer aus Niedersachsen und neun aus Nordrhein-Westfalen durchliefen nach Behördenerkenntnissen das Netzwerk Abu Walaas und reisten ins Kriegsgebiet. Sechs von ihnen sollen dort gestorben sein.

Im November 2016 wurde Abu Walaa im niedersächsichen Bad Salzdetfurth unweit von Hildesheim festgenommen. Der „Prediger ohne Gesicht“, der in seinen Internet-Videos meist nur von hinten zu sehen ist, sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Vor Gericht lächelte er gestern freundlich. Mitangeklagt sind vier weitere Männer im Alter zwischen 27 und 51 Jahren. Auch der Berlin-Attentäter Anis Amri soll sich im Umfeld von Abu Walaa und seinem Netzwerk aufgehalten haben. Die Verteidigung weist sämtliche Vorwürfe als „haltlos“ zurück.

Von dem Iraker aus St. Tönis fasziniert war übrigens auch der 52-Jährige, der nach der Festnahme Abu Walaas für die Islamisten den „Maulwurf“ beim Verfassungsschutz in Köln spielen wollte. Das Düsseldorfer Landgericht hatte den Tönisvorster kürzlich zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt — und ihm dabei das Zeugnis ausgestellt, dass er zu „Theatralik und Wichtigtuerei“ neige.