Längerer Lockdown absehbar Kommen bald FFP2-Maskenpflicht und Ausgangssperre?
Berlin · Die Coronavirus-Mutation, die sich in England rasend schnell ausgebreitet hat, versetzt auch Deutschland in große Sorge. Bund und Länder beraten über eine Verschärfung des Lockdowns. Doch erst wollen sie ein Lagebild von Experten einholen.
Deutschland steht voraussichtlich vor einer Verlängerung und Verschärfung des Corona-Lockdowns. Hauptgrund ist die Sorge, dass sich auch hierzulande hochansteckende Virus-Mutationen ausbreiten könnten. An diesem Montagabend wollen die Ministerpräsidenten der Länder dazu eine Lagebild von Fachleuten einholen. Am Dienstag beraten Bund und Länder über die weiteren Schritte. Im Gespräch sind unter anderem nächtliche Ausgangssperren und eine FFP2-Maskenpflicht in bestimmten Bereichen wie dem Bahnverkehr und dem Einzelhandel.
Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) stellte ein Verlängerung des Lockdwons bis Mitte Februar in Aussicht: „Ich gehe davon aus, dass das schon 14 Tage sein können, die noch einmal dazu kommen“, sagte der Finanzminister am Sonntagabend in einem „Bild“-Talk. Der aktuelle Lockdwon ist bis Ende Januar befristet. Scholz schloss nicht aus, dass auch Ausgangssperren verhängt werden. „Ich finde, das ist eine mögliche Maßnahme, aber nicht die, die als allererste ansteht.“
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sagte der „Rheinischen Post“ (Montag): „Es liegt eine Auswahl von Möglichkeiten auf dem Tisch.“ Er nannte neben einer FFP2-Maskenpflicht im Bahnverkehr und möglichen Ausgangssperren auch eine Homeoffice-Pflicht und deutlich stärkere Kontaktbeschränkungen. In Bayern müssen die Menschen bereits seit diesem Montag in Bussen, Trams, U- und S-Bahnen sowie in allen Geschäften FFP2-Schutzmasken tragen, die besser vor Infektionen schützen als Stoffmasken. Auch eine nächtliche Ausgangssperre gilt im Freistaat bereits.
Die Zahl der Neuinfektionen geht unterdessen zurück. Die deutschen Gesundheitsämter meldeten dem Robert Koch-Institut (RKI) 7141 Corona-Neuinfektionen binnen eines Tages. Das ist laut RKI der niedrigste Wert an Neuinfektionen seit dem 20. Oktober. Außerdem wurden 214 neue Todesfälle innerhalb von 24 Stunden verzeichnet, wie das RKI am Montagmorgen bekanntgab. Seit dem 14. Dezember war der Wert nicht mehr so niedrig. An Montagen sind die erfassten Fallzahlen meist geringer, unter anderem weil am Wochenende weniger getestet wird. Vor genau einer Woche hatte das RKI 12 497 Neuinfektionen und 343 neue Todesfälle binnen 24 Stunden verzeichnet.
„Nach einem starken Anstieg der Fallzahlen Anfang Dezember, einem Rückgang während der Feiertage und einem erneuten Anstieg in der ersten Januarwoche scheinen sich die Fallzahlen wieder zu stabilisieren“, schrieb das RKI in seinem Lagebericht am Sonntagabend. Der Höchststand von 1244 neuen Todesfällen war am Donnerstag erreicht worden. Bei den binnen 24 Stunden registrierten Neuinfektionen war mit 33 777 am 18. Dezember der höchste Wert gemeldet worden - darin waren jedoch 3500 Nachmeldungen enthalten.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder forderte die anderen Länder auf, die gemeinsam getroffenen Beschlüsse konsequenter umzusetzen. „Die Hälfte der Länder macht ja was ganz anderes“, sagte der CSU-Chef am Sonntagabend in der ARD-Talkshow „Anne Will“. „So dass man auch immer wieder die Frage stellen muss: Warum beschließen wir etwas, wo dann die Hälfte das anders macht?“
Söder sieht die Vorschriften in Bayern als eine Art Blaupause für Bundesregelungen. Nach Informationen des „Business Insiders“ erwägt das Kanzleramt eine bundesweit einheitliche, nächtliche Ausgangssperre, wie es sie bereits in Frankreich oder anderen Nachbarstaaten gibt. Aus den Bundesländern ist aber auch zu vernehmen, dass derzeit alles diskutiert werde, was diskutiert werden könne.
SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach sprach sich für einen harten, dreiwöchigen Lockdown aus. Das Wachstum der Mutation müsse unbedingt verhindert werden, schrieb er am frühen Montagmorgen auf Twitter. Ansonsten verbreite sich die Mutation „schneller, als wir impfen können“. Ausgangssperren ab 20 Uhr seien aus seiner Sicht für drei Wochen vertretbar. Im öffentlichen Nahverkehr plädiere er für Obergrenzen bei den Fahrgästen und eine FFP2-Maskenpflicht.
Vor der Bund-Länder-Schalte muss also noch einiges abgestimmt werden. Am Montagabend lassen sich die Ministerpräsidenten von führenden Wissenschaftlern über neue Erkenntnisse informieren. „Da sind die dabei, die sie alle kennen“, sagte Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) bei „Anne Will“ und nannte namentlich den RKI-Präsidenten Lothar Wieler und den Charité-Virologen Christian Drosten.
Zur Frage, warum die Bund-Länder-Beratung so kurzfristig angesetzt wurde und warum die Lage so dränge, sagte Bouffier: „Was wir gar nicht einschätzen können, ist das britische Virus. Das ist der Grund, warum wir jetzt tagen.“ Dieses Mal werde man auch Wissenschaftler aus Großbritannien dabei haben. „Da wird es darum gehen: Welche Erkenntnisse habt ihr?“ In Großbritannien hat sich eine wohl ansteckendere Mutation des Coronavirus stark verbreitet, die inzwischen auch in Deutschland nachgewiesen wurde. Auch in Südafrika ist eine vergleichbare Variante aufgetaucht.
Es bestehe die Gefahr, dass sich die Dynamik noch einmal beschleunige, wenn sich die Virus-Mutationen weiter ausbreiteten, sagte Altmaier. „Deshalb müssen wir jetzt - und das ist explizit meine Meinung als Wirtschaftsminister - auf der Ministerpräsidentenkonferenz die Weichen so stellen, dass wir in den nächsten Wochen die Infektionswelle endgültig brechen und ein erneutes Hochschießen der Dynamik bis Ostern verhindern.“
SPD-Chefin Saskia Esken sprach bei „Anne Will“ wie Altmaier von der Homeoffice-Pflicht: Man werde in den Unternehmen möglicherweise Homeoffice anordnen müssen, sagte sie. Auch Scholz forderte, die Betriebe in Sachen Homeoffice mehr in die Pflicht zu nehmen, es könne dort „nicht bei Appellen“ bleiben, sagte er in dem „Bild“-Talk. „Wir müssen da noch einen Schritt weiter machen.“ Von einer Homeoffice-Pflicht wollte er aber nicht sprechen: Es werde immer darauf ankommen, „dass das betrieblich auch geht. Wir wollen ja pragmatisch bleiben und nichts Unmögliches verlangen“.