Stephan Sulke ist 80 – und begeistert das Düsseldorfer Publikum im Savoy Melancholisch, traurig, witzig

DÜSSELDORF · . Na, das war mal ein Gegenprogramm zum Eurovision Song Contest mit seiner schrägen Show. „Stephan Sulke 80“ hieß es am Samstagabend in Düsseldorfer Savoy Theater. 80 steht dabei ganz uneitel für das Alter des Mannes, der da zweieinhalb Stunden lang das mit ihm gealterte Publikum großartig unterhält.

„Uschi, mach kein Quatsch“, hat er mal gesungen, damit ist er bekannt geworden: Liedermacher Stephan Sulke gastierte jetzt im Düsseldorfer Savoy. Hier eine Archivaufnahme.

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Sulke, der Musiker mit den vielen Liebesliedern, aber auch mit düster-traurigen Stücken, die er immer wieder durch Spaßeinlagen aufhellt. Musikalisch und mit erzählten Witzen. Denn Witze werde er machen, das verspricht er gleich am Anfang der Show – und zwar möglichst viele jiddische. Das sei seine Art zu reagieren auf etwas, was der Sohn von vor den Nazis nach China geflohenen Juden gleich zu Beginn klarstellt: „Ich hätte mir nie vorstellen können, dass so wenige Jahrzehnte nach der Katastrophe der Antisemitismus wieder so hochschießt.“

Angesichts der desaströsen Weltlage stellt Sulke sich erst einmal nur mit dem Mikrofon auf die Bühne: „Du lieber Gott komm doch mal runter und schau dir die Bescherung selber an.“ Textsicher steigen viele Zuhörer sogleich mit ein: „Ich schwör dir, dass man hier verzweifeln kann.“ Dann wechselt er zwischen Flügel, Orgel und Gitarre und arbeitet, wie er sagt, eine Art Wunschliste ab, die ihm die Fans in seinen Facebook-Account geschrieben haben: Viele Liebeslieder, klar.

Der Lauf des Lebens aus der Perspektive eines Zimmers

Aber auch wunderbar melancholische Lieder sind dabei. Wie sein „Ich bin ein altes Zimmer“. Ein Stück, „an dem ich relativ hänge“, wie er Sulke es ausdrückt. Es ist der Lauf des Lebens aus der Perspektive eines Zimmers. Vom lärmigen und fröhlichen Kinderzimmer, dann zum Ehezimmer – „reich an Sehnsucht und Passionen“, die schöne Zeit, da Menschen sich lieben. Dann die Dämonen der Langeweile und der Lügen. Dann die Zeit, „da war ich Sterbezimmer, da schlich das Leben leise in den Garten, und Angst und Reue tanzten ihren Reigen.“

Solch dunklere Poesie wechselt Sulke ab mit kleinen Geschichten wie der über sein einstiges Erfolgsstück „Ich hab dich bloß geliebt“. Sein Produzent sei davon gar nicht begeistert gewesen, aber dann sei „so ein Blonder“ dazugekommen. Sulke nennt nicht den Namen des Blonden, parodiert aber dessen unverwechselbaren abgehackten Sprachduktus: „Den Song da, kann ich den auch singen?“ Die Älteren im Publikum erinnern sich. Es war der junge Herbert Grönemeyer. „Seine Version war zehn Mal erfolgreicher als meine, das hat mich gefuchst“, erinnert sich Sulke. Erst die Ausschüttung der Gema an ihn als Urheber habe ihn versöhnt.

Sulke ruft einen Saxofonisten dazu, er nennt ihn nur Napo, der Nachname sei unaussprechlich. Napo unterstützt den Barden ganz wunderbar. Auch das so gar nicht politisch korrekte Klamauk-Anti-Emanzen-Stück „Uschi mach kein’ Quatsch“ wird noch mal aufgewärmt. Eigentlich sehr nervig, heute noch nerviger als früher, aber viele im Publikum stimmen ein. Sulkes wirklich eindrucksvolle Lieder sind die traurigen. Wie das vom kleinen Tommy im Rollstuhl, der seine Mutter vorwurfsvoll fragt: „Mama, warum kann ich nicht geh’n?“

Und vor allem dieses eine Stück, von dem die Zuhörer sichtlich angefasst sind. Als Sulke es vorstellt, sagt er schon: „Tut mir leid, ein bisschen ein dunkles Lied.“ Es gehe um das Auseinanderbrechen der Familienbande in der modernen Gesellschaft, das Abschieben der Alten ins Heim. „Ich bin kein Moralprediger, nur einer, der etwas feststellt“, sagt er. Und singt dann die Zeilen, die so in unsere Zeit passen: „In einem Altersheim zu stranden, weil es die Kinder besser fanden. Und zur Besucherstunde kommen die erwachsenen Kinder für ihre obligate Runde, weil man’s Gewissen nicht ertränken kann.“ Sie antworten auf den Vorwurf der abgeschobenen Verwandten, sie sei hier lebendig begraben: „Wir haben doch keinen Platz, wie soll das gehen, sie begreift nicht, was man für sie tut.“ Und überhaupt: Schwester Martha sage doch auch, ihr gehe es gut. Doch Schwester Martha weiß es besser, hat sie doch die Stimme der Frau im Ohr: „Heute bin ich es, morgen du.“

Nein, so dunkel lässt Stephan Sulke den Abend dann doch nicht enden. Natürlich singt er noch „Lotte“, dieses emotionale Lied über eine verflossene Liebe. Die Zuschauer danken es ihm mit stehenden Ovationen. Und bekommen als weitere Zugabe – durchaus keine Selbstverständlichkeit in diesen Zeiten – das Stück „Der Mann aus Russland“ zu hören. Die Geschichte einer durchzechten Nacht mit einem Russen, „ein Mensch genau wie ich und du“. Geschrieben hat Sulke das Lied zu Zeiten, da gab es noch die Sowjetunion, damals oft vereinfacht als Russland. Und so lässt der Sänger in seinem ursprünglichen Text den trinkfreudigen Russen denn auch schwärmen von Städten wie Kiew und Minsk. Was heute nun wirklich nicht mehr geht. Heute schwärmt der Russe an dieser Stelle des Stücks von Seen und Wäldern. Tja, Geschichte verändert auch Liedtexte.