Düsseldorfer Literaturpreis für Nico Bleutge Berliner Lyriker Nico Bleutge erhält Literaturpreis
Der Berliner Lyriker Nico Bleutge bekommt den von der Stadtsparkasse gestifteten Düsseldorfer Literaturpreis. Die Ehrung ist mit 20.000 Euro dotiert und wird am 25. Mai überreicht.
Wer die Gedichte von Nico Bleutge bis ins Detail verstehen wollte, müsste zunächst das Leben des Autors erforschen. Denn seine Verse fließen aus seinen Erinnerungen, aus Kindheit und Jugend ebenso wie aus der Zeit, als er Stipendiat der Villa Massimo in Rom war. Hier wie dort hat er seine Sinne geschärft, vor allem für die Natur, aber auch für die Menschen, die sich darin bewegen. Am 25. Mai wird ihn die Stadtsparkasse Düsseldorf mit dem mit 20 000 Euro dotierten Düsseldorfer Literaturpreis ehren.
Wenn Dichter in der Ich-Form schreiben, erzählen sie nicht immer von sich selbst, sondern schicken oft ein lyrisches Ich vor. Bei Bleutge fallen beide in eins. In seinem zuletzt erschienenen Band „Schlafbaum-Variationen“ ist das Neugeborene, liebevoll beschrieben, wie es nur ein unmittelbar Beteiligter vermag, die Tochter des Autors. Zuvor ist ein geliebter Mensch gestorben, der Vater. Zwischen Geburt und Tod lässt Beutge die Welt wabern, er blickt auf die Dinge aus verschiedenen Winkeln und zieht seine Leserinnen und Leser in einen Sog aus Wortneuschöpfungen und altertümlichen Begriffen wie „malter“ und „spelt“ – der eine ein Getreidemaß, der andere gleichbedeutend mit „Dinkel“. Man schwimmt durch diese Verse, findet hier und da Halt, paddelt an anderem verständnislos vorüber.
Verblüffenderweise ist in diesen Texten alles immer konkret. Nichts wirkt ausgedacht, alles ist zum Greifen nah. Wenn Bleutge beschreibt, wie sich Schafe verhalten, glaubt man ihm dies als Beobachtung aufs Wort: „und einmal eine handvoll schafe um einen mast / versammelt, das hinterteil gegen den wind gedreht / die köpfe zur mitte, jeder im atem des anderen“.
Bleutge schreibt alles klein
und hält Verse im Rhytmus
Ja, Bleutge schreibt alles klein, hält seine Verse nicht durch End-, sondern allenfalls durch Binnenreime zusammen und vor allem durch ihren Rhythmus, sodass man sie eigentlich laut lesen müsste.
Der Autor legte jetzt in einem Gespräch den Hintergrund seines von einem Rom-Aufenthalt inspirierten, titelgebenden Zyklus „Schlafbaum-Variationen“ offen. In Schwärmen würden sich dort Tausende von Staren auf Pinien – „Schlafbäumen“ – niederlassen, die in den Monokulturen keine Ruhe und Nahrung mehr fänden. Gegen sie setze die Stadt Falken ein mit dem Ziel, die Stare zu vertreiben. Denn die stören mit ihren Hinterlassenschaften das touristische Geschäft ebenso wie die Sicherheit auf den städtischen Straßen.
In diesem Zusammenhang kommt der Zahl Sieben eine besondere, fast magische Bedeutung zu. Der Zyklus umfasst 21 Stücke, also drei mal sieben. Stare brauchen wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge sieben andere Stare neben sich, um sich orientieren zu können, damit es nicht zu Kollisionen kommt. Mit dieser Themenwahl sei er der „klassischen Gefahr“ entkommen, in Rom nur Gedichte über Rom zu schreiben, sagt Bleutge.
Wir fragten Bleutge, ob seine Leser über all das Hintergrundwissen verfügen müssten, das er sich selbst im Lauf der Jahre angeeignet habe. Ist seine Lyrik eine Dichtung für Germanisten und Biologen? Natürlich weist er das zurück, ihm sei es wichtig, dass ein Gedicht den Leser berühre, dass „seine Wahrnehmung ausgehebelt“ werde, dass „man in seinem ganzen Sein angesprochen“ werde. Darauf komme es an, nicht auf die anderen Schichten, die sich in einem Gedicht vielleicht noch entdecken lassen: „Ich sitze ja nicht da und sage: Heute bauen wir mal Hölderlin ein.“
Das wird auch für Bleutges Anspielungen auf den Bereich der bildenden Kunst gelten. Sein Vater hat ihm die Brücke auf diesen Kontinent gewiesen. Nicht alle Zitate sind allerdings so leicht verständlich wie die brennende Giraffe von Salvador Dalí, doch – wie gesagt – aufs Dechiffrieren kommt es dem Autor nicht an.
Was zählt, ist das Erfühlen.