Tönisvorst Eine emanzipierte starke Frau wird 99

Tönisvorst · Fünfzig Jahre lang prägte Marta Buscher mit ihrem Konfektionsladen das Stadtbild von St. Tönis. Noch heute wird sie darauf angesprochen. Am Sonntag feiert sie ihren 99. Geburtstag.

Marta Buscher ist 99 Jahre alt geworden.

Foto: Alexander Florié-Albrecht

Als mich Marta Buscher an der Tür begrüsst, wird mir ein Privileg zuteil. „Sie sind der erste Mann, den ich hier alleine reinlasse“, geleitet mich die zierliche, aber mit wachen Augen und klarem Verstand ausgestattete St. Töniserin in ihre Wohnung an der Schelthofer Straße. Sie ist gerade 99 Jahre alt geworden

An der Wand findet sich ein Bild aus den 50er-Jahren – damals noch mit ihrem Mann Richard. „Da war ich Schützenkönigin – und das zweimal hintereinander“, erinnert sie sich mit einem gewissen Stolz. „Damals stand St. Tönis Kopf. Wir fuhren mit vier weißen Pferden und einer Kutsche durch den Ort, drei holländische Kapellen spielten dazu“. Mit dem Schützenwesen hatte sie schon als neunjährige Kinder-Schützen-Königin zu tun, zeigt Buscher das Bild im Fotobuch, in dem sie ihr Leben dokumentiert hat.

Schon der Vater
konnte gut verkaufen

1922 wurde sie in in St. Tönis als Tochter eines Handelsvertreters und einer Hausfrau geboren. „Mein Vater war im ganzen Kreis bekannt. Er war ein gewandter Verkäufer, aber ich auch“, deutet sie an, woher die eigene Neigung für die spätere Selbstständigkeit kam.

Nach Abschluss der Volksschule lernte sie schon mit 14 Jahren früh, wie man sich behaupten muß: Zwei Jahre lang war sie bei einem Bauunternehmen tätig. Dann landete sie im Arbeitsdienst, wo sie ihren späteren Mann – einen Berufssoldaten – kennenlernte. Mit 18 Jahren ging es für sie in den Kriegshilfsdienst. Sie heiratete ein Jahr später. Vier Jahre lang war ihr Mann dann in Gefangenschaft, kam erst 1947 wieder zurück. Ein Jahr später wurde Sohn Udo geboren.

Unmittelbar nach dem Krieg betrieb Marta Buscher eine „Tauschzentrale“, bei der Frauen ihre Kleidung zu ihr brachten, Speck als Währung von den Bauern bezahlt wurde.

Auf Anregung eines Geschäftsmannes entschloss sie sich dann, einen  Konfektionsgeschäft aufzumachen  – erst an der Ecke Krefelder Straße und dann gegenüber dem Rathaus. „Ich habe das nicht gelernt. Ich bin immer ins kalte Wasser gesprungen“, sagt die rüstige alte Dame heute.

Eine selbstständige Frau, die auch Herrenanzüge verkauft. In den 1950er Jahren war das mehr als ungewöhnlich. „Ich war damals die Einzige  und Oberbekleidung war eine teure Sache.“

Mit Charme und
Gespür für Menschen

Um die Kleidung zu bekommen, besuchte sie Messen in Düsseldorf und München und besorgte sie sich dort. „Ich habe immer Kredit bekommen“, schmunzelt sie. Ihr attraktives Äußeres habe sicher dazu beigetragen, sagt sie mit Blick auf die Albumbilder selbstbewusst. „Die Leute drehten sich immer um, wenn ich kam.“

Sie habe „ein Gespür für Menschen“ gehabt. Zugleich habe sie sich aber auch nichts gefallen lassen und sich in all den Jahren mit ihrer Verkäuferin, „der Frau Muth, die  in ganz St. Tönis bekannt“ war, stets freundlich den Kunden zugewendet. „Die Sachen damals kriegte man nicht kaputt. Aber heute wird alles vom Ausland zusammengehauen und teuer verkauft“, hat sie zur aktuellen Mode eine ziemlich klare Meinung.

Erst mit Mitte 70 gab sie ihre Selbstständigkeit auf – aus „gesundheitlichen Gründen“, sagt Marta Buscher. Früher hatte sie mehrere Häuser, heute lebt sie zurückgezogen in ihrer Wohnung. Ihr zweiter Lebenspartner lebt seit zehn Jahren nicht mehr. Wenn sie mal ins Dorf kommt, „erkennen mich noch viele.“ Ihr ganzer Stolz sind die drei Enkel und fünf Urenkel, mit denen sie regen Kontakt hat. Buscher hofft, dass sie in ihrem Alter noch so lange wie möglich mobil bleiben kann.