Pressekonferenz abgesagt Missbrauch im Erzbistum Köln - Heikler Wille zur Namensnennung

Düsseldorf · Das Erzbistum Köln hat die Veröffentlichung der Ergebnisse einer Untersuchung verschoben – wegen juristischer Bedenken.

Kölns Erzbischof Rainer Maria Woelki kennt die Ergebnisse der Untersuchung selbst noch nicht.

Foto: dpa/Andreas Arnold

Die Erwartungen waren groß. An diesem Donnerstag um 9.30 Uhr sollte die Münchner Kanzlei „Westphal Spilker Wastl“ im Generalvikariat des Erzbistums Köln den Abschlussbericht ihrer unabhängigen Untersuchung zum sexuellen Missbrauch im Erzbistum Köln vorlegen. Ihr Auftrag war es, persönliche, systemische und strukturelle Defizite zu benennen, die in der Vergangenheit dafür verantwortlich waren, Vorfälle sexuellen Missbrauchs zu vertuschen oder nicht konsequent zu ahnden. Doch jetzt ist die entsprechende Pressekonferenz auf unbestimmte Zeit verschoben worden.

Das Erzbistum selbst hatte die Erledigung seines im Dezember 2018 erteilten Auftrags als „bislang einmalige Aufklärungsarbeit“ bezeichnet. Um die Unabhängigkeit bis zuletzt zu demonstrieren, war vorgesehen, dass Erzbischof Rainer Maria Woelki und die Verantwortlichen des Bistums erst zeitgleich mit der Öffentlichkeit über die Ergebnisse informiert werden sollten.

Dass die Veröffentlichung nun nicht zum angekündigten Zeitpunkt erfolgt, begründet Generalvikar Markus Hofmann damit, dass nicht alle relevanten rechtlichen Fragen abschließend geklärt werden konnten. Weil Köln als erste Diözese Deutschlands auch die Namen von Verantwortlichen nennen will, habe man bei einer darauf spezialisierten Kanzlei noch ein „äußerungsrechtliches Gutachten“ in Auftrag gegeben. Dieses habe festgestellt, „dass wir die Veröffentlichung der Ergebnisse so absichern müssen, dass eine identifizierbare Darstellung der Verantwortlichen nicht angegriffen werden kann“. Deshalb, so Hofmann, gehe jetzt Gründlichkeit vor Geschwindigkeit.

Die Kanzlei „Westphal Spilker Wastl“ hatte 2010 bereits einen Bericht zu sexuellem Missbrauch in der Zeit von 1945 bis 2009 im Erzbistum München vorgelegt. Die öffentlich zugängliche neunseitige Zusammenfassung der Kernaussagen nennt aber keine Namen. Für die jetzige Kölner Untersuchung hat die Kanzlei die einschlägigen Personalakten des Bistums seit 1975 untersucht. Dabei sollte auch „die Rolle der damaligen und heutigen Verantwortlichen, Personalchefs, Generalvikare und Bischöfe“ geklärt werden. Das Erzbistum wollte wissen, „ob die Vorgehensweise der damaligen Diözesanverantwortlichen jeweils im Einklang mit den Vorgaben des kirchlichen und des staatlichen Rechts stand“, und erwartet von der Untersuchung auch Vorschläge zur Beseitigung festgestellter Defizite oder Rechtsverstöße.

Bundesweite MHG-Studie
war der Anlass für den Auftrag

Der Auftrag an die Münchner Kanzlei war unmittelbar nach der Veröffentlichung der MHG-Studie erfolgt, die Personalakten aller 27 deutschen Bistümer seit Ende des Zweiten Weltkriegs durchforstet und im Herbst 2018 von insgesamt 1670 Priestern, Diakonen und Ordensleuten als Tätern und 3677 Kindern und Jugendlichen als Opfern gesprochen hatte.

Aus den Akten des Kölner Erzbistums ging damals hervor, dass zwischen 1946 und 2015 insgesamt 81 Diözesanpriester, vier Ordenspriester und zwei Diakone als Beschuldigte gemeldet worden waren. 33 von ihnen waren bei der Meldung des Missbrauchs bereits verstorben. Ihnen allen wurden 119 Fälle sexuellen Missbrauchs zugeordnet – mit insgesamt 135 Betroffenen. Deren Alter lag bei der Ersttat zwischen drei und 18 Jahren. Bei 103 der Opfer handelte es sich um Jungen, bei 32 um Mädchen.

Der Betroffenenbeirat im Erzbistum Köln hat am Mittwoch auf die Verschiebung der Pressekonferenz mit Verständnis reagiert. „Die Gefahr, dass durch Klagen die komplette Studie ihre Wirksamkeit verlieren könnte und die Möglichkeit einer unabhängigen und kompletten Aufar­beitung des Missbrauchs im Erzbistum Köln vernichtet würde, ist auch für Betroffene zu groß“, teilten die Sprecher Patrick Bauer und Karl Haucke mit.

Andererseits sei die Verschiebung „eine große Enttäuschung“. Zu oft seien Betroffene schon vertröstet worden. „Alte Wunden – wir werden nicht ernst genommen, beiseitegeschoben, klein gemacht – platzen auf und lösen alte Emotionen aus“, so die Beiratssprecher. Das werde durch die Kurzfristigkeit der Verschiebung noch verstärkt. Daher müsse die Veröffentlichung „in absehbarer Zeit“ erfolgen.

Inzwischen hat auch das Bistum Essen eine auf zwei Jahre angelegte Studie in Auftrag gegeben. Es gelte, „alles aufzudecken und zu verhindern, was sexuellen Missbrauch begünstigt“, so Bischof Franz-Josef Overbeck. Auch diese Studie soll öffentlich Namen nennen für den Fall, dass Missbrauchstaten bewusst und vorsätzlich vertuscht wurden.