Ungewöhnliche kommunale Investitionen Kulturboom am Rheinkilometer 714
Monheim · Die Stadt Monheim hat Geld – und gibt es auch dort aus, wo andere schon lange sparen: für Kunst im öffentlichen Raum, eine große Veranstaltungshalle und ein innovatives Musikfestival.
Hinter dem Schreibtisch im Büro des Monheimer Bürgermeisters Daniel Zimmermann hängt ein Rheinpanorama. Es zeigt das Monheimer Ufer etwa in Höhe des Rheinkilometers 714. Der Schiffsanleger der Stadt, der vor zwei Jahren eingeweiht wurde, ist noch nicht zu sehen, natürlich auch nicht die ganzen Kulturprojekte, die entlang der Rheinpromenade geplant sind. Das großformatige Foto in der Machtzentrale des Rathauses wirkt wie eine Bild gewordene Programmatik: Hier muss, hier wird etwas passieren.
Katharina Braun steht auf einer balkonartigen Ausbuchtung der Rheinpromenade und blickt auf letzte Baggerarbeiten an einem 7,50 Meter hohen Betonsockel. Am Freitag wird Markus Lüpertz hier die Skulptur „Leda“ aufstellen lassen, seine 3,60 Meter hohe Neuinterpretation der Monheimer Gänseliesel, Wahrzeichen der Stadt. Am Samstag folgt die Einweihung, eine begleitende Ausstellung in einer benachbarten ehemaligen Abfüllanlage einer Shell-Raffinerie wird den Entstehungsprozess dokumentieren. Braun ist Leiterin der örtlichen Kunstschule und in der Stadt verantwortlich für Kunst im öffentlichen Raum. „Ich bin beglückt, dass wir hier so viel über Kunst diskutieren“, sagt sie.
Seit 2017 hat die Designerin und Kunsttherapeutin jährlich 400 000 Euro für Ankäufe zur Verfügung. Ihre Richtschnur: „Kunst und Kultur für alle“. Ihr Ziel: „Unwiederbringliche kulturelle und materielle Werte zu schaffen und nachhaltig zu sichern“. Das ist ein fast vergessener kommunaler Anspruch. Öffentliche Kunstankäufe gibt es kaum noch, Finanznot hat die freiwilligen Ausgaben gen null sinken lassen. In Monheim dagegen sind die Kunstprojekte entlang des Rheins wie an einer Perlenkette aufgezogen.
Der umstrittene Geysir
soll im Mai 2020 eröffnet werden
An der Ortsgrenze zu Leverkusen-Hitdorf wurde Ende August die Skulptur „Haste Töne“ des Berliner Künstlerkollektivs „Inges Idee“ eingeweiht. Sie gestaltet den dortigen Kreisverkehr als gigantischen Plattenspieler. Ein Stück weiter nördlich soll im Mai kommenden Jahres auf einem weiteren Kreisverkehr der umstrittene Geysir des renommierten Schweizer Installationskünstlers Thomas Stricker eröffnet werden.
Die Idee des Wahl-Düsseldorfers, in Monheim nach dem Vorbild der echten Geysire in Island etwa zwölf Mal im Jahr für zwei bis drei Minuten einen künstlichen Geysir ausbrechen zu lassen, für den dann auch der Verkehr angehalten werden muss, hat den Bund der Steuerzahler auf die Palme gebracht. Bürgermeister Zimmermann lässt die Kritik gelassen an sich abperlen: „Der vom Steuerzahlerbund geforderte Umgang mit öffentlichem Geld würde letztlich zu einer geistigen Verarmung führen.“ Die kontroversen Diskussionen über „Inges Idee“, Stricker, Lüpertz und demnächst noch die Häuser-Skulptur von Timm Ulrichs, dem Käthe-Kollwitz-Preisträger des Jahres 2020, sind Zimmermann gerade recht: „Das sorgt dafür, dass Leute sich mit Kunst auseinandersetzen, die das noch nie getan haben.“
Kunst- und Musikschule sowie
das Ulla-Hahn-Haus als Basis
Dem 37-Jährigen ist wichtig, dass kulturelle Bildung in Monheim auch schon eine Bedeutung hatte, als es noch keinen jährlichen Haushaltsüberschuss gab. Die Kunstschule mit ihren Angeboten für jährlich knapp 6000 Kinder und Jugendliche wie auch die Musikschule stehen für den Anspruch, die Kinder der Stadt systematisch in Kindergarten, Grund- und weiterführender Schule immer wieder unabhängig von finanziellen Möglichkeiten und Elternhaus mit Kunst und Musik zu konfrontieren. Auch das von der Stadt aufgekaufte Elternhaus der Schriftstellerin Ulla Hahn hat sich der Literaturvermittlung für Kinder und Jugendliche verschrieben.
Und diese Form der Begegnung ist nicht auf die jungen Menschen beschränkt. Katharina Braun wird bald in der Altstadt noch über ein Kunsthaus verfügen, das pro Jahr vier Künstler behergen soll. Sie können dort wohnen, arbeiten und ausstellen, sollen sich aber zugleich öffnen für den Austausch mit der Stadtgesellschaft. Braun sieht das als einmalige Chance auf „Teilhabe am Schaffensprozess und der Denkweise eines Künstlers“.
Mit zehn Millionen Euro Haushaltsüberschuss kann Monheim dank seiner seit Jahren diskutierten Gewerbesteuerpolitik für 2019 rechnen. Seit 2010 sind so rund 450 Millionen zusammengekommen. Die Stadtwerke wurden zurückgekauft, eine eigene Wohnungsbaugesellschaft gegründet, zwei Einkaufszentren in der Stadtmitte erworben. Aber die Kultur steht eben mit auf dem Plan: Die ehemalige Abfüllanlage der Shell-Raffinerie, die bis Ende Oktober die Begleitausstellung zur Lüpertz-Skulptur beherbergt, ist von der Stadt auf Erbpachtbasis gekauft worden. Bis 2023 soll hier eine Veranstaltungshalle mit 1900 Sitz- oder 4000 Stehplätzen entstehen. Der Name „Kulturraffinerie K714“ spielt auf die Lage in Höhe des entsprechenden Rheinkilometers an.
Rechnet man die Baukosten von 40 Millionen Euro, die Technikausstattung, das nötige Parkhaus und die Erschließung zusammen, lässt sich die Stadt das Projekt 79 Millionen Euro kosten. Vom Karneval über das klassische Tourneetheaterabo und Rock- und Popkonzerte bis zu Aktionärsversammlungen soll das Nutzungsspektrum reichen. „Das kann man nicht wie ein kleines Bürgerzentrum führen“, sagt Zimmermann. Als Geschäftsführer und Intendant der Kulturwerke, einer 100-prozentigen Stadttochter, wurde daher im vergangenen Jahr Martin Witkowski verpflichtet, zuvor Betriebsleiter der Düsseldorfer Tonhalle.
Die geplante Halle ist zugleich als zentraler Veranstaltungsort eines weiteren kulturellen Mammutprojekts der 43 000-Einwohner-Stadt gedacht. Die Monheim Triennale nimmt für sich das Ziel in Anspruch, „wegweisende künstlerische Positionen der Aktuellen Musik zu dokumentieren“. Alle drei Jahre. Aus aller Welt.
Die Musik Triennale orientiert
sich nicht an einzelnen Sparten
Reiner Michalke sitzt in dem kleinen Büro der Triennale nahe dem Rhein und in unmittelbarer Nachbarschaft zum Kulturzentrum „Sojus 7“. Dort wird er gleich einem knappen Dutzend junger Menschen die Idee des Festivals erklären. Michalke war von 2005 bis 2016 künstlerischer Leiter des Jazzfestivals in Moers und verantwortet heute noch das Programm des Kölner „Stadtgartens“. Und ihm war von Beginn an klar: Wenn er in Monheim zusagt, darf das hier kein weiteres Jazzfestival werden.
Michalke ist von der Idee des Kurators in der bildenden Kunst fasziniert. Kasper König inspiriert ihn immer wieder. Seither sucht er nach Wegen, diese Idee auf die Musik zu übertragen. In Monheim hat der 62-Jährige das Terrain dafür gefunden. 1,5 Millionen Euro stehen ihm zur Verfügung, um vom 1. bis 5. Juli 2020 erstmals in noch provisorischem Rahmen das zu erproben, was ab 2023 nach Fertigstellung der Kulturraffinerie dann noch wachsen soll: ein Festival, das sich nicht an Sparten orientiert, sondern Musiker präsentiert, die mutig, innovativ und prägend für andere sind.
Für die Premiere sind inzwischen 16 Namen festgelegt. Michalke verwendet den Begriff des Porträts, um zu verdeutlichen, was geplant ist: Die Künstler werden sich alle Tage in der Stadt aufhalten, nicht nur einen Auftritt haben, sondern sich mindestens in drei unterschiedlichen Konstellationen präsentieren. Auch die Interaktion mit der Stadt wird gesucht. „Das Festival hat nur eine Chance, wenn es hier Wurzeln schlägt.“
Einer, der dazu beitragen soll, ist der Musiker Achim Tang. Seit Januar wohnt er in Monheim im sozial schwierigen Berliner Viertel und hat die Aufgabe, Räume zu öffnen, die den Einwohnern der Stadt die Festivalidee nicht mehr ganz so fremd erscheinen lassen, wie sie vielleicht zunächst wirkt. Seine Idee: dass über das konkrete Musikmachen und informelle Angebote dazu viel Verständnis für musikalische Zusammenhänge wachsen kann. Und damit vielleicht auch das Interesse, sich auf Ungewohntes einzulassen.
Das gilt gleich für das gesamte Festival. „Die Leute müssen nichts mitbringen“, sagt Michalke, „außer Neugierde.“